Von Balkonsolaranlagen und virtuellen Wohnungseigentümerversammlungen – Neuer Referentenentwurf zur Reform des Wohnungseigentumsrechts

I.    Einführung

Wie wollen wir künftig wohnen und welchen Beitrag kann das Wohnungseigentumsrecht zum Klimaschutz leisten? Nach umfangreichen Reformen 2020 nimmt das Bundesministerium der Justiz unter diesen Gesichtspunkten erneut das Wohnungseigentumsrecht (WEG) und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in den Blick. Ziele des am 31.05.2023 veröffentlichten Referentenentwurfs sind Verwaltungsvereinfachungen und die Zukunftsfähigkeit des Wohnungseigentums- und Mietrechts. Der „Entwurf eines Gesetzes zur Zulassung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen, zur Erleichterung des Einsatzes von Steckersolargeräten und zur Übertragbarkeit beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten für Erneuerbare-Energien-Anlagen“ (im Folgenden: Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten) sieht Änderungen im WEG und BGB vor. Eckpunkte des Entwurfs sind dabei die Zulassung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen, die Privilegierung von Stecksolaranlagen und die Übertragbarkeit beschränkt persönlicher Dienstbarkeiten für Erneuerbare-Energien-Anlagen. Der Beitrag stellt die Kernpunkte des Referentenentwurfs vor.

 

II.    Möglichkeit virtueller Wohnungseigentümerversammlungen

Nach bisheriger Fassung des WEG war eine Teilnahme an Wohnungseigentümerversammlungen nur in Präsenz oder hybrider Form möglich, vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG. Eine rein virtuelle Versammlung war nur möglich, wenn vorher eine entsprechende Vereinbarung getroffen wurde. Nicht möglich war nach alter Rechtslage jedoch, Präsenzversammlungen zugunsten rein virtueller Versammlungen insgesamt abzuschaffen (Hogenschurz, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2023, § 23 WEG Rn. 32; Hügel/Elzer, Wohnungseigentumsgesetz, 3. Aufl. 2021, § 23 WEG Rn. 31; zum Ablauf virtueller Versammlungen nach alter Rechtslage allgemein Pauli, ZMR 2021,187; zu § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG a. F. allgemein Letzner, ZWE 2022, 115). Der Referentenentwurf sieht im neu eingefügten § 23 Abs. 2a WEG n. F. eine Mehrheitsbeschlusskompetenz für reine Online-Versammlungen vor, die neben die bisherige Möglichkeit präsenter und hybrider Veranstaltungen tritt (Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 13). Nach § 23 Abs. 2a WEG n. F. können die Wohnungseigentümer mit mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beschließen, dass die Versammlung innerhalb eines Zeitraums von längstens drei Jahren ab Beschlussfassung ohne physische Präsenz der Wohnungseigentümer und Wohnungseigentümerinnen und des Verwalters an einem Versammlungsort stattfindet oder stattfinden kann (virtuelle Wohnungseigentümerversammlung). Die virtuelle Wohnungseigentümerversammlung muss hinsichtlich der Teilnahme und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar sein. Das bedeutet in technischer Hinsicht eine Zwei-Wege-Audio- und Video-Verbindung in Echtzeit. Chats oder Telefonkonferenzen genügen nicht (Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 14).
Es muss ein Quorum vom 75 Prozent der in der Wohnungseigentümerversammlung abgegebenen Stimmen erreicht werden. Hiermit soll der hohen Bedeutung des Wohnungseigentums für die Wohnungseigentümer und Wohnungseigentümerinnen Rechnung getragen werden. Sowohl das Quorum als auch die Befristung sind an die Regeln zur Virtuellen Hauptversammlung in § 118a AktG bzw. zum Quorum des § 179 AktG angelehnt (Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 13). Bei der Reformierung des § 23 WEG 2020 im Rahmen des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz hatte die Bundesregierung der Beschlusskompetenz für reine Online-Versammlungen noch eine Absage erteilt (BT-Drucks 19/18791, S. 71; hierzu etwa Häublein, ZWE 2021, 385, 389 ff.). Die jetzige Reform ist dennoch keine Kehrtwende. De lege lata ist § 23 WEG an § 118 AktG angelehnt. Der Begründung des Referentenentwurfs zu § 23 WEG n. F. ist ein Gleichlauf zur Virtuellen Hauptversammlung i. S. d. § 118a AktG zu entnehmen (Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 13). Auch im Aktiengesetz wurde mit dem Gesetz zur dauerhaften Einführung der virtuellen Hauptversammlung vom 8. Juli 2022 die Möglichkeit die Möglichkeit rein virtueller Versammlungen geschaffen. Die Reform des § 23 Abs. 2 WEG darf daher als kontinuierliche Angleichung verstanden werden.

 

III.    Privilegierung von Stecksolargeräten

Des Weiteren sieht der Referentenentwurf eine Privilegierung sogenannter Stecksolargeräte vor. Stecksolargeräte, untechnisch auch Balkonsolaranlagen oder Balkonkraftwerke genannt, sind gemäß den technischen Normen des Verbandes der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V. (VDE)/Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (FNN) derzeit kleine PV-Anlagen bis maximal 600 Watt (W) Wechselrichterleistung. In der Regel handelt es sich um laienbedienbare Geräte, die aus (wenigstens) je einem Photovoltaik-Modul, einem netzgekoppelten Wechselrichter, einer Anschlussleitung und einem Stecker zum Anschluss an Endstromkreise bestehen (Definition aus Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 13). Steckersolargeräte stellen regelmäßig eine bauliche Veränderung im Sinne des § 20 Abs. 1 WEG dar. Sie bedürfen des Beschlusses oder der Gestattung der Wohnungseigentümerversammlung. De lege lata ist eine Genehmigung nur über einen Gestattungsanspruch gemäß § 20 Abs. 3 WEG möglich. Die Genehmigung ist derzeit mit erheblichen Problemen verbunden. Der Gestattungsanspruch kann erteilt werden, wenn eine bauliche Veränderung ohne rechtlich relevante Beeinträchtigung erfolgen kann oder die über dieses Maß beeinträchtigten Wohnungseigentümer und Wohnungseigentümerinnen einverstanden sind (Rüscher, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2023, § 20 WEG Rn. 137 ff.). Überdies ist ein Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümerversammlung erforderlich (Rüscher, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2023, § 20 WEG Rn. 189).

In § 20 Abs. 2 WEG n. F. wird eine neue Nummer 5 für die Stromerzeugung durch Steckersolargeräte eingeführt. Auch nach neuer Rechtslage ist weiterhin ein Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft erforderlich. Folge dieser Privilegierung ist jedoch, dass ein Anspruch auf Durchführung der baulichen Veränderung besteht. Es entfällt also die Entscheidung über das „Ob“ der Durchführung (Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 10).

Mit der Einführung der Privilegierung trägt das Bundesjustizministerium der steigenden Beliebtheit von Stecksolargeräten Rechnung. Das Bedürfnis nach alternativen Energieformen ist spätestens seit der Energiekrise rapide angestiegen. Balkonsolaranlagen, welche, ohne Akku, unter 1.000 Euro kosten, sind ein einfacher und kostengünstiger Weg für Bürgerinnen und Bürger, ihre Energiekosten zu senken und zur Energiewende beizutragen. Das gestiegene Bedürfnis spiegelt auch eine Petition vom 17.02.2023 zur Vereinfachung von Balkonsolaranlagen mit über 100.000 Unterzeichnungen wieder (Petition 146290, Photovoltaik - Vereinfachungen für Balkonsolaranlagen).

Zugleich dient der Entwurf der Verwaltungsvereinfachung im Rahmen der Genehmigung von Stecksolarbetrieben. So prognostiziert auch das Bundesjustizministerium einen Anstieg an Genehmigungsanträgen für die kommenden fünf Jahre von jeweils 50 Prozent. Im Durchschnitt sei mit jeweils 118.000 Anträgen auf Genehmigung von 2023 bis 2027 zu rechnen (Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 10). Überdies sieht die UN-Agenda 2020 in den Nachhaltigkeitszielen 7 und 16 vor, dass der Anteil erneuerbarer Energien deutlich zu erhöhen ist. Der Erfüllung dieser Ziele soll der Referentenentwurf Vorschub leisten (Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 1). Mit der Privilegierung kommt das Bundesjustizministerium auch der in der Herbstkonferenz vom 10. November 2022 durch die Justizministerinnen und Justizminister der Länder gefassten Bitte nach, einen Vorschlag zur Privilegierung von Stecksolargeräten vorzulegen.

Dies ist begrüßenswert. So war in ersten Entscheidungen noch davon ausgegangen worden, dass Balkonsolaranlagen nicht unter § 20 Abs.2 Nr. 2 WEG a. F. zu subsumieren seien und in diesem Fall auch kein Gestattungsanspruch des Wohnungseigentümers gemäß §§ 20 Abs. 3 WEG bestehe (AG Konstanz v. 09.02.2023 – 4 C 425/22, NZM 2023, 380 = ZWE 2023, 226 mit. Anm. Dötsch, ZWE 2023, 231). Der vom AG Konstanz angelegte strenge Maßstab für eine Gestattung nach § 20 Abs. 3 WEG ließ, zumindest für den dortigen Fall, eine leichte Tendenz hin zu einer Erschwerung der Genehmigung erkennen (Dötsch, ZWE 2023, 231).

Im Mietrecht sind bauliche Veränderungen dem Vermieter anzuzeigen und vorab durch diesen zu genehmigen, § 535 BGB. Das gilt zumindest dann, wenn durch die bauliche Veränderung die Substanz der Mietsache verändert wird (Häublein, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2023, § 535 BGB Rn. 104). Ein Anspruch auf Erlaubnis durch den Vermieter besteht regelmäßig nicht. Von diesem Grundsatz tätigt § 554 BGB eine Ausnahme. Gemäß § 554 BGB hat der Mieter einen Anspruch auf Erlaubnis baulicher Veränderungen für die dort genannten Katalogtatbestände. Der Entwurf nimmt in diesen Katalog auch die Stromerzeugung durch Stecksolargeräte mit auf. Die Reform des § 554 BGB ist also das mietrechtliche Pendant zur Änderung des § 20 Abs. 2 WEG n. F.


IV.    Ausnahmen von der Übertragbarkeit beschränkt persönlicher Dienstbarkeiten

Im Grundsatz sind beschränkt persönliche Dienstbarkeiten unübertragbar, § 1092 Abs. 1 Satz 1 BGB. Ausnahmen hiervon gelten gemäß § 1092 Abs. 2, § 1059a BGB bereits jetzt für juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften. Gemäß § 1092 Abs. 2, § 1059a Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 BGB kann die beschränkt persönliche Dienstbarkeit bei einer Unternehmensübertragung mit übertragen werden, wenn es den Unternehmenszwecken dienlich ist (Mohr, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2023, § 1092 BGB Rn. 12 – 13; Pohlmann, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2023, § 1059a BGB Rn. 9 ff.). Das Verfahren ist jedoch oft zeit- und kostenintensiv. Daher sieht § 1092 Abs. 3 Satz 1 BGB auch in gegenwärtiger Form bereits Ausnahmen für juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften vor. Übertragbar sind nach bisheriger Rechtslage – unbesehen der Voraussetzungen des § 1092 Abs. 2 BGB – für juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften auch beschränkt persönlich Dienstbarkeiten, die dazu berechtigen, ein Grundstück für Anlagen zur Fortleitung von Elektrizität, Gas, Fernwärme, Wasser, Abwasser, Öl oder Rohstoffen einschließlich aller dazugehörigen Anlagen, die der Fortleitung unmittelbar dienen, für Telekommunikationsanlagen, für Anlagen zum Transport von Produkten zwischen Betriebsstätten eines oder mehrerer privater oder öffentlicher Unternehmen oder für Straßenbahn- oder Eisenbahnanlagen zu benutzen. Nicht umfasst sind bisher hingegen Fälle, in denen die Energiegewinnung durch die Anlage selbst stattfindet. Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen fallen de lege lata nicht unter die Ausnahmen von § 1092 Abs. 3 BGB (Mohr, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2023, § 1092 BGB Rn. 16; Keller, DNotZ 2011, 99; OLG München v. 20.11.2012 – 34 Wx 91/12, NJOZ 2013, 923 speziell für Wärmerzeugungsanlagen; OLG Hamm v. 11.09.2017 - 5 U 61/15 für eine Pumpstation).

§ 1092 Abs. 3 Satz 1 BGB n. F. erweitert nun den Katalog um Anlagen zur Erzeugung von erneuerbaren Energien. Unter diesen Begriff sind alle in § 3 EEG aufgelisteten Formen zur Energieerzeugung zu fassen (Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 14 – 15).

Begründet wird dies mit der erheblichen praktischen Bedeutung beschränkt persönlicher Dienstbarkeiten. Einerseits bleibt die Anlage trotz fester Verbindung mit dem Boden gemäß der §§ 94, 95 BGB sonderrechtsfähig. Andererseits dienen beschränkt persönliche Dienstbarkeiten der dinglichen Absicherung des schuldrechtlichen Nutzungsrechts des Anlagenbetreibers. Zuletzt wird in der Praxis das Sicherungseigentum der finanzierenden Bank regelmäßig mit einer beschränkt persönlichen Dienstarbeit besichert (Mohr, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2023, Vor § 1018 BGB Rn. 8 – 11; Reymann, DNotZ 2010, 84). Findet bei Erneuerbare-Energie-Anlagen ein Wechsel des Anlagenbetreibers statt, muss bisher eine Übertragbarkeit der beschränkt persönlichen Dienstbarkeit über komplizierte Lösungen gewährleistet werden (Überblick über Gestaltungsmöglichkeiten bei Reymann, DNotZ 2010, 84; Keller, DNotZ 2011, 99; Klühs, RNotZ 2012, 28).

Durch die Erweiterung der Ausnahmen des § 1092 Abs. 3 BGB auf Erneuerbare-Energien-Anlagen trägt das Bundesjustizministerium dem praktischen Bedürfnis für eine Übertragbarkeit Rechnung. Eine Vereinfachung diene der Förderung der Energiewende und entspräche den Zielen der Bundesregierung die Errichtung von Erneuerbare-Energien-Anlagen angesichts derzeitiger geopolitischer Konflikte und der Klimakrise zu fördern (Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 15). Nicht zuletzt kommt das Bundesjustizministerium hiermit auch einer entsprechenden Bitte der Bundesjustizminister und Bundesjustizministerinnen der Länder nach. In der 2. Frühjahrskonferenz der Justizminister und Justizministerinnen am 1./2. Juni 2022 war gebeten worden, eine Erweiterung des § 1092 Abs. 3 BGB auf Errichtung und Betrieb von Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energien zu prüfen.

Von einer Erweiterung der Ausnahmen des § 1092 Abs. 3 BGB sieht der Referentenentwurf hingegen ausdrücklich ab. Diese Einschränkung sei aus der Zielsetzung des historischen Gesetzgebers abzuleiten. Dieser wollte ausdrücklich eine Aushöhlung des Eigentumsrechts durch beschränkt persönliche Dienstbarkeiten vermeiden (Referentenentwurf Online-Versammlungen Steckersolargeräte Dienstbarkeiten, S. 15).

 

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