1. Einleitung
Der BFH hat jüngst mehrere Entscheidungen zur Vorschrift des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG veröffentlicht und dabei insbesondere das Tatbestandsmerkmal „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ in den Blick genommen. Den Entscheidungen lagen Sachverhalte zugrunde, in denen Grundstücke innerhalb der 10-Jahresfrist angeschafft und veräußert wurden. Die Steuerpflichtigen gingen davon aus, dass es sich hierbei um selbstgenutzte Wohnimmobilien handle, deren Veräußerung nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG nicht steuerbar sei. Der Senat hat in allen drei Fällen die Revision als unbegründet abgewiesen. Anknüpfungspunkt ist einerseits der konkrete Wortlaut des Gesetzes, andererseits wird auch der Sinn und Zweck der Vorschrift in den Fokus gerückt.
2. Die Entscheidungen
a) BFH v. 14.11.2023 – IX R 13/23, DStR 2024, 177
Der BFH stellt in seiner ersten Entscheidung vom 14.11.2023 fest, dass eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne des Befreiungstatbestands des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG nicht vorliegt, wenn die Nutzungsüberlassung an die (Schwieger-)Mutter des Steuerpflichtigen erfolgt.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kläger sind miteinander verheiratet und wurden im streitgegenständlichen Jahr 2017 zusammen zur Einkommenssteuer veranlagt. Sie hatten im Jahr 2009 zu jeweils hälftigem Miteigentum eine noch zu errichtende Eigentumswohnung erworben, die sie nach der Fertigstellung unentgeltlich der Mutter der Klägerin überließen. Nach deren Tod im Jahr 2016 veräußerten die Kläger die Wohnung im Jahr 2017 gewinnbringend. Im Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2017 berücksichtigte das beklagte Finanzamt den von den Klägern erklärten Gewinn aus der Veräußerung der Wohnung als sonstige Einkünfte aus privatem Veräußerungsgeschäft im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Kläger blieb ohne Erfolg. Auch FG Düsseldorf folgte dem Begehren der Kläger nicht.
Der BFH wies die Klage als unbegründet zurück. Der Senat stellt klar, dass es sich vorliegend nicht um eine Nutzung der Eigentumswohnung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG handelt. Das Tatbestandsmerkmal „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ setzt nach der Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Immobilie zum Bewohnen dauerhaft geeignet ist und von den Steuerpflichtigen auch tatsächlich bewohnt wird. Der Steuerpflichtige muss das Gebäude somit zumindest auch selbst nutzen. Es ist allerdings unschädlich, wenn er es gemeinsam mit Familienangehörigen oder Dritten bewohnt (vgl. BFH v. 21.05.2019 – IX R 6/18, BeckRS 2019, 22175 Rn. 16; BFH v. 24.05.2022 – IX R 28/21, DStR 2022, 2430 Rn. 15). Nicht ausreichend ist allerdings, wenn die Steuerpflichtigen lediglich unter der Adresse der Immobilie mit ihrem Wohnsitz gemeldet sind, sich aber nur für Besuchsaufenthalte in der Immobilie aufhalten (vgl. BFH v. 29.05.2018 – IX B 106/17, BeckRS 2018, 14637 Rn. 6). Auch lässt sich die Wertung des § 4 S. 2 EigZulG, wonach eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auch dann vorliegt, wenn die Wohnung unentgeltlich an nahe Angehörige im Sinne des § 15 AO zu Wohnzwecken überlassen wird, nicht auf § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG übertragen. Im Ausgangspunkt ist das Tatbestandsmerkmal „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG zwar so zu verstehen wie in § 10e EStG und § 4 EigZulG. Allerdings müssen die unterschiedlichen Zweckrichtungen der Tatbestände beachtet werden. Des Weiteren liegt auch keine Steuerbefreiung aus verfassungsrechtlichen Gründen vor. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend ungleich zu behandeln. Der Tatbestand des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ist als steuerliche Begünstigung eng auszulegen. Der Senat hat zwar die Überlassung an einkommenssteuerlich zu begünstigende Kinder für die Begünstigung als unschädlich angesehen, allerdings besteht nach Auffassung des Gerichts keine Veranlassung dazu, den Anwendungsbereich der Vorschrift über diese Fälle hinaus auszuweiten. Entscheidendes Differenzierungskriterium ist das typischerweise Bestehen einer Unterhaltspflicht bei einem steuerlich zu berücksichtigenden Kind, für das Unterhaltsaufwendungen erbracht werden. In den übrigen Fällen kann eine solche Unterhaltspflicht und das Anfallen entsprechender Aufwendungen nicht ohne eine Einzelfallprüfung angenommen werden.
b) BFH v. 14.11.2023 – IX R 10/22, BeckRS 2023, 40414
Der BFH stellt in einer weiteren Entscheidung vom 14.11.2023 fest, dass eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG auch dann nicht vorliegt, wenn eine Nutzungsüberlassung an den geschiedenen Ehegatten erfolgt.
Der Kläger war seit dem Jahr 1989 verheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Die Ehe wurde im Jahr 2014 geschieden. Der Kläger und die Kindesmutter waren je hälftig Miteigentümer einer Immobilie, die als gemeinsames Familienheim diente. Der Kläger zog in Folge der Trennung aus der Immobilie aus. Zur endgültigen Vermögensauseinandersetzung übertrug die Kindesmutter im Rahmen der Ehescheidung ihren Miteigentumsanteil an der Immobilie auf den Kläger. Sie durfte die Immobilie allerdings bis zum 31.12.2018 unentgeltlich nutzen. Auch eine Verlängerung des Nutzungsrechts war für den Fall vorgesehen, dass der jüngste Sohn des Klägers nach seinem Schulabschluss noch im Haushalt der Mutter leben würde. In der Scheidungsfolgenvereinbarung war außerdem festgehalten, dass es sich bei der Gewährung des mietfreien Wohnens um eine Unterhaltsleistung des Klägers handle. Im Jahr 2018 verkaufte der Kläger die Immobilie. In der Einkommenssteuerfestsetzung für das Jahr 2018 berücksichtigte das beklagte Finanzamt im Hinblick auf die Veräußerung der Immobilie Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft. Eine Steuerbefreiung aufgrund einer Eigennutzung des Klägers liege nicht vor.
Nach Auffassung des BFH greift auch in diesem Fall der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG nach den o.g. Grundsätzen nicht. Dem Kläger kann keine mittelbare Nutzung zu Wohnzwecken aufgrund der Überlassung der Immobilie an seine Kinder als eigene zugerechnet werden. Der Senat argumentiert, dass neben den Kindern auch die Kindesmutter die Immobilie bewohnte. Die Nutzung durch die Kindesmutter kann dem Kläger mangels rechtlicher Grundlage nicht als eigene zugerechnet werden. Auch die Regelung in der Scheidungsfolgenvereinbarung, dass die mietfreie Nutzung der Immobilie eine Unterhaltsleistung darstellt, ist keine relevante rechtliche Grundlage. Nach Ansicht des BFH liegt eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nur vor, wenn die unterhaltsberechtigten Personen typischerweise zur Lebens- oder Wirtschaftsgemeinschaft des Steuerpflichtigen gehören. Bei getrenntlebenden Ehegatten ist dies regelmäßig nicht der Fall. Vielmehr stellt der Senat klar, dass der laufende Unterhalt durch Zahlung einer Geldrente zu gewähren ist. Auch Art. 6 GG ist hier nicht einschlägig, da der Kläger die zum Wesen von Ehe und Familie gehörende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft durch seinen Auszug und die Scheidung aufgelöst hat und der Gesetzgeber einer bestehenden Ehe Vorteile gegenüber einer aufgelösten Ehe einräumen kann.
c) BFH v. 26.09.2023 – IX R 14/22, BeckRS 2023, 40418
Der dritten Entscheidung des BFH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kläger erwarben im Jahr 2014 ein Grundstück, das sie seit dem Jahr 2015 auch selbst bewohnten. Im Jahr 2019 teilten sie das Grundstück und veräußerten das eine Teilstück. Die Kläger machten in ihrer Einkommenssteuererklärung für das Jahr 2019 dazu keine Angaben. Das beklagte Finanzamt erfasste einen Gewinn aus der Grundstücksveräußerung und rechnete diesen den Klägern jeweils zur Hälfte als privates Veräußerungsgeschäft zu. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg, die Klage vor dem FG Niedersachsen hatte nur teilweise Erfolg.
Der BFH wies die Revision der Kläger als unbegründet zurück. Der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG greift nach Auffassung des Senats hier nicht. Voraussetzung für die Annahme der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken ist die tatsächliche auf Dauer angelegte Bewohnung des Wirtschaftsguts vom Steuerpflichtigen selbst. Ertragssteuerlich bilden das Wohngebäude und der Grund und Boden unterschiedliche Wirtschaftsgüter, denn zum Wohnen kann nur das Wohnhaus genutzt werden. Ausnahmsweise wird aber der Grund und Boden einbezogen, wenn ein einheitlicher Nutzungs- und Funktionszusammenhang besteht. Dieser Zusammenhang muss nach Ansicht des Senats auch im Zeitpunkt der Veräußerung vorliegen, da sich die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG auf das unmittelbar zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wirtschaftsgut beziehen würden. Ein einheitlicher Nutzungs- und Funktionszusammenhang ist hier allerdings durch die erfolgte Teilung des Grundstücks bereits vor der Veräußerung entfallen. Die Teilung stellt eine Zäsur dar, die zur Folge hat, dass aus dem bis dahin einheitlichen Wirtschaftsgut zwei neue Wirtschaftsgüter entstehen, deren Nutzung zu eigenen Wohnzwecken getrennt voneinander zu beurteilen ist. Der BFH argumentiert, dass der Zweck der Vorschrift des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG, die berufliche Mobilität nicht zu behindern, nicht erfüllt ist, wenn eine Nutzung des verbleibenden Grundstücks zu Wohnzwecken fortbesteht.
3. Kritik
Insbesondere die letztgenannte Entscheidung des BFH muss kritisch betrachtet werden. Der Wortlaut des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG stellt ganz eindeutig darauf ab, dass die Immobilie im Jahr der Veräußerung und in den beiden Vorjahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurde. Der Senat geht in der Anwendung der Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus. Allerdings muss hier in die Auslegung der Norm auch deren Sinn- und Zweckgehalt einbezogen werden, um ein Ergebnis zu vermeiden, das vom Gesetzgeber so nicht gewollt ist. Nach der Gesetzesbegründung dient § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG der Vermeidung einer ungerechtfertigten Besteuerung eines Veräußerungsgewinns bei Aufgabe des Wohnsitzes. Durch die Regelung soll es ermöglicht werden, von der Spekulationsbesteuerung abzusehen, wenn das Wirtschaftsgut aufgrund eines Wechsels des Wohnsitzes kurzfristig veräußert wird (BT-Drucks. 14/23, S. 180). Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung ist damit ausdrücklich die Vermeidung einer ungerechtfertigten Besteuerung aufgrund der Aufgabe des Wohnsitzes, die hier nicht vorliegt.
4. Ausblick
Nachdem der BFH den Anwendungsbereich des Tatbestandsmerkmals „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ im Hinblick auf volljährige unterhaltsberechtigte Kinder des Steuerpflichtigen, für die er Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag erhält, ausgedehnt hatte, schränkt er den Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG nun in den dargestellten Entscheidungen wieder deutlich ein (Trossen, DStR 2024, 177, 179). Dadurch wird die Veräußerung von Immobilien vor Ablauf der 10-Jahresfrist deutlich streitanfälliger. Der BFH geht in seinen Entscheidungen teilweise deutlich über den Wortlaut des Gesetzes hinaus und zieht den Zweckgehalt der Norm zur Auslegung heran, der sich nicht aus der bloßen Lektüre des Gesetzes ergibt. Um zu vermeiden, dass die Veräußerung der eigenen Immobilie möglicherweise zur Steuerfalle wird, ist eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BFH zu der Thematik dringend angeraten.