Zusammenfassung des Beitrags von Detlef Kleindiek in:
Festschrift für Heribert Heckschen zum 65. Geburtstag, 2024, S. 371
I. Einführung
Das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) setzte die EU-Richtlinie 2019/1023 über Restrukturierung und Insolvenz (im Folgenden RRL) im Jahr 2021 um und eröffnete zusammen mit dem Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SansInsFoG) zahlungsgefährdeten Schuldnern den Zugang zu Instrumenten des „Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens“. Die zentrale Maßnahme zur Inanspruchnahme dieser Instrumente stellt die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim zuständigen Restrukturierungsgericht nach § 31 Abs. 1 StaRUG dar, mit welcher die Restrukturierungssache rechtshängig wird. Gemäß § 1 StaRUG ist die Geschäftsleitung dazu verpflichtet, fortlaufend über die Entwicklungen zu wachen, die den Fortbestand der juristischen Person gefährden könnten und bei Krisenanzeichen geeignete Gegenmaßnahmen, inklusive der Nutzung der StaRUG-Instrumente, zu ergreifen. Diese Leitungs- und Überwachungspflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit betreffen nicht nur die Geschäftsleiter juristischer Personen (z.B. GmbH), sondern auch vergleichbare Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflichten kann Schadensersatzansprüche gegenüber den Gläubigern nach sich ziehen, § 43 StaRUG.
Mit Inkrafttreten des StaRUG ist in der Folge eine Debatte darüber entstanden, ob und in welchem Umfang die Pflichten der Geschäftsleitung in der Krise tatsächlich erweitert wurden. Grundsätzlich hat die Gesellschafterversammlung im Restrukturierungsverfahren eine zentrale Rolle, da in der Regel ein Gesellschafterbeschluss erforderlich ist, um die Restrukturierungsmaßnahmen einzuleiten. Fraglich bleibt jedoch, ob die Geschäftsleitung bei dringendem Handlungsbedarf Maßnahmen auch ohne einen vorherigen Beschluss der Gesellschafterversammlung umsetzen kann, insbesondere wenn diese im Interesse der Gläubiger als geboten angesehen werden. Hier kann ein Spannungsfeld zwischen der Verpflichtung zur Krisenbewältigung und der Einhaltung der internen Kompetenzverteilung entstehen. In der Praxis stellt sich daher die Frage, ob Geschäftsführer bei der Einleitung von Restrukturierungsmaßnahmen zunächst auf die Billigung der Gesellschafterversammlung warten müssen oder ob sie im Interesse der Gläubiger eigenständig oder sogar gegen den erklärten Willen der Gesellschafter das Restrukturierungsverfahren einleiten dürfen. Zudem bleibt unklar, welche neuen Aspekte mit den einschlägigen Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie verbunden sind.
II. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRL
Art. 19 der Restrukturierungsrichtlinie stellt eine zentrale Bestimmung dar, welche die Pflichten der Unternehmensleitung in einer Krisensituation regelt. Die Vorschrift gilt bereits bei einer „wahrscheinlichen Insolvenz“ (nicht erst bei einer tatsächlichen Insolvenzeröffnung) und soll Unternehmen dazu anhalten, präventive Maßnahmen zu ergreifen, um Insolvenzrisiken frühzeitig zu vermeiden. Der finale Text von Art. 19 RRL wurde im Rahmen der Trilog-Verhandlungen der EU-Institutionen erheblich entschärft, um den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen. Im Vergleich zum ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2016 (Art. 18 RRL) wurde sowohl der Umsetzungsauftrag an die Mitgliedstaaten als auch die Pflichten der Unternehmensleitung abgeschwächt und lediglich ein allgemeines Gebot zur „gebührenden Berücksichtigung“ von Interessen normiert, womit der Fokus stärker auf Verhaltenspflichten gelegt wurde. Der Begriff der „wahrscheinlichen Insolvenz“ ist „im Sinne des nationalen Rechts zu verstehen“ (Art. 2 Abs. 2 RRL) sowie nach Art. 4 Abs. 1 RRL die Zugangsvoraussetzung zum präventiven Restrukturierungsrahmen. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit an die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO angeknüpft (§ 29 Abs. 1 StaRUG), wobei der maßgebliche Prognosezeitraum jetzt „in aller Regel … 24 Monate“ beträgt.
III. Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement: § 1 StaRUG
§ 1 StaRUG konkretisiert die Pflichten der Unternehmensleitung zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement, die bereits vor der Nutzung der präventiven Restrukturierungsinstrumente (durch Anzeigen des Restrukturierungsvorhabens, § 31 Abs. 1 StaRUG) gelten. Ergänzend finden sich Information über Frühwarnsysteme in § 101 StaRUG sowie Hinweis- und Warnpflichten von bestimmten Berufsträgern in § 102 StaRUG.
1. Krisenfrüherkennung
Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG besteht für die Geschäftsleiter einer juristischen Person die Pflicht, fortlaufend über die Entwicklungen des Unternehmens zu wachen, die den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Diese nunmehr rechtsformübergreifende Verpflichtung zur Krisenfrüherkennung, welche bereits im Jahre 1998 im Aktienrecht (§ 91 Abs. 2 AktG) gesetzlich verankert wurde, gilt auch für GmbHs als Bestandteil der allgemeinen Leitungspflichten des Geschäftsführers im Rahmen von § 43 Abs. 1 GmbHG. Die Geschäftsleiter sind daher dafür verantwortlich, die Finanz- und Vermögenslage der Gesellschaft regelmäßig zu beobachten, Risiken frühzeitig zu überprüfen und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um existenzielle Bedrohungen zu vermeiden. Die konkrete Ausformung und Reichweite der Überwachungspflichten hängen dabei von der Größe, Branche, Struktur und Rechtsform des jeweiligen Unternehmens ab.
2. Krisenmanagement
Wenn bestandsgefährdende Entwicklungen eintreten, müssen die Geschäftsleiter „geeignete Gegenmaßnahmen“ einleiten und die zur Überwachung berufenen Organen unverzüglich informieren (§ 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG). Dabei sind andere zuständige Organe unverzüglich einzubeziehen, falls die Maßnahmen deren Kompetenzen berühren (§ 1 Abs. 1 S. 3 StaRUG). Was als „geeignete Gegenmaßnahme“ gilt, hängt von den individuellen Umständen des Unternehmens ab, wobei der Gesetzgeber der Geschäftsleitung einen Beurteilungsspielraum überlässt, der auf die jeweiligen Anforderungen und die Dringlichkeit der Situation abgestimmt ist. Im Fall drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 InsO) erweitert sich der Handlungsrahmen der Geschäftsleiter durch die Möglichkeit, die Instrumente des StaRUG zu nutzen. Da die grundlegenden Sanierungsentscheidungen nach dem Kompetenzgefüge des GmbH-Rechts der Gesellschafterversammlung obliegen, muss die Geschäftsleitung den Sanierungsbedarf auch hier frühzeitig kommunizieren und die Versammlung zur Beratung und Entscheidung einberufen (§ 49 Abs. 2 GmbHG). Eine allgemeine Sanierungspflicht für die Gesellschafter besteht jedoch nicht, diese sind vielmehr in ihrer Entscheidung über die Fortführung des Unternehmens frei.
IV. Restrukturierungsanzeige und Gesellschafterentscheid: Die Perspektive des Gesellschaftsrechts
Die Restrukturierungsanzeige nach § 31 StaRUG stellt eine wesentliche Maßnahme dar, die tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben kann und dient als Instrument, um im Vorfeld einer Insolvenz präventive Sanierungsmaßnahmen einzuleiten. In einer GmbH setzt die Restrukturierungsanzeige einen billigen Beschluss der Gesellschafterversammlung voraus, der bei grundlegenden Sanierungsentscheidungen, wie der Stellung eines Insolvenzantrags bei drohender Zahlungsunfähigkeit, eine qualifizierte Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen erfordert. Diese Anforderung spiegelt die grundlegenden Prinzipien des Gesellschaftsrechts wider und entspricht der heute ganz überwiegenden Meinung.
Einige kritische Stimmen argumentieren, dass das Restrukturierungsverfahren auf Fortführung der Gesellschaft angelegt sei und anders als das Insolvenzverfahren nicht zur Auflösung der Gesellschaft führe, sodass keine grundlegende Veränderung des Gesellschaftszwecks vorliege und es dementsprechend keiner Zustimmung der Gesellschafter bedarf. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der freiwillige Eigenantrag auf Insolvenzeröffnung an die materielle Voraussetzung der drohenden Zahlungsunfähigkeit geknüpft ist, sodass jedenfalls in der Regel auch hier die finanzielle Sanierung des Unternehmens das Ziel ist.
Weiterhin ist zwischen dem Außen- und Innenverhältnis zu unterscheiden: Ein Insolvenzantrag ist nach § 18 Abs. 3 InsO gegenüber Dritten (z.B. dem Insolvenzgericht) wirksam, wenn der Antragsteller zur Vertretung berechtigt ist. Ob im Innenverhältnis eine Billigung vorliegt und das einschlägige Gesellschaftsrecht gewahrt wurde, hat für das Außenverhältnis keine Bedeutung. Dieselben Erwägungen gelten auch für die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 Abs. 1 StaRUG, sodass diese bei Einhaltung der Vertretungsregeln im Außenverhältnis wirksam bleibt, auch wenn es im Innenverhältnis an einem erforderlichen Beschluss fehlt. Etwas anderes kann lediglich bei einem Missbrauch der Vertretungsmacht in Betracht kommen.
Nach dem Kompetenzgefüge im GmbH-Recht (§ 49 Abs. 2 GmbHG) liegt die Letztentscheidung über wesentliche Fragen der Unternehmenspolitik bei der Gesellschafterversammlung, auch wenn die Geschäftsführer die primären unternehmerischen Entscheidungsträger in der Gesellschaft sind. Die Gesellschafterversammlung ist daher immer dann einzuberufen, wenn es im Interesse der Gesellschaft erforderlich erscheint. Es besteht kein Zweifel daran, dass dies auch bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zu gelten hat. Die Rolle der Geschäftsführer beschränkt sich in diesem Fall darauf, die Gesellschafter umfassend über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft zu informieren und ihnen Gelegenheit zu geben, über geeignete Maßnahmen zu beraten. Im Hinblick auf die Frage, ob die Geschäftsführer die Restrukturierungsanzeige ggf. auch ohne Gesellschafterentscheid stellen dürfen oder zunächst die Beschlussfassung abwarten müssen, spricht die Kompetenzordnung des GmbH-Rechts nachdrücklich dafür, auch im Konfliktfall der Gesellschafterversammlung aufgrund ihrer Allzuständigkeit das Letztentscheidungsrecht (im Innenverhältnis) zuzuweisen.
Die Restrukturierungsanzeige nach § 31 Abs. 1 StaRUG sowie der fakultative Insolvenzantrag stellen außergewöhnliche Maßnahmen dar, die tiefgreifende Auswirkungen für die Gesellschafter haben können. Dazu gehören etwa die Umwandlung von Gläubigerforderungen in Anteilsrechte, was zu einer Umverteilung oder sogar zum Verlust der bisherigen Gesellschafterrechte führen kann. Potenzielle Veränderungen der Gesellschafterstruktur durch den Restrukturierungsplan können erheblich in die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte eingreifen, insbesondere da bei einem Konflikt mit den Interessen der Anteilsinhaber die Gläubigerinteressen Vorrang haben. Es ist daher nur folgerichtig, dass den Geschäftsführern einer GmbH auch die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ohne vorherige Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit der Gesellschafter wie bei der Stellung eines freiwilligen Insolvenzantrags nicht erlaubt sein kann.
V. Korrekturbedarf kraft StaRUG?
Es stellt sich gleichwohl die Frage, ob sich ein anderes Ergebnis aus der Sicht des nationalen Restrukturierungsrechts ergeben könnte.
Bereits vor der Einführung des StaRUG wurde die These eines „kompetenzverschiebenden Perspektivwechsels“ formuliert. Danach führe der Perspektivwechsel bereits ab der bilanziellen Überschuldung bzw. der drohenden Zahlungsunfähigkeit dazu, dass die Gläubigerinteressen von nun an Vorrang vor den Gesellschafterinteressen hätten, was mit einer „Verlagerung der Organkompetenzen“ von Gesellschafter- auf die Geschäftsführerebene verbunden sei. Durch das Verschieben der Treubindung des Geschäftsführers, sei dieser auch nicht mehr an Weisungen der Gesellschafter gebunden, wenn diese dem Wohl der Gesellschaft und den Gläubigerinteressen widersprechen. Der Hauptkritikpunkt an dieser Theorie ist jedoch die fehlende gesetzliche Grundlage, da es nach geltendem Recht keine umfassende rechtliche Basis gibt, welche diese Verlagerung der Kompetenz rechtfertigt. Außerdem wurde zwar in der Fassung des Regierungsentwurfs des StaRUG in §§ 2 und 3 StaRUG-E vorgeschlagen, die Geschäftsleiter juristischer Personen ab Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit zu verpflichten, die „Interessen der Gläubiger (zu) wahren“ und dabei entgegenstehende Beschlüsse und Weisungen der Überwachungsorgane als unbeachtlich anzusehen, jedoch sind diese Vorschriften gerade nicht Gesetz geworden. Es liegt auch fern, die vom Rechtsausschuss empfohlene Streichung dieser Normen als eine „gesetzgeberische Bestätigung der Lehre vom shift of duties“ zu deuten, zumal der Rechtsausschuss auf die mangelnde Rechtsklarheit im Zusammenhang mit den bereits im Gesetz verankerten Sanierungspflichten hinwies. Es bleibt daher weiterhin der rechtspolitischen Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten, die Trennlinie zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht festzulegen. Insbesondere die mehrfachen Korrekturen am Überschuldungstatbestand des § 19 InsO haben gezeigt, dass der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum hier aktiv nutzt.
VI. Die Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie
Es bleibt offen, ob die bestehenden rechtlichen Regelungen in Deutschland mit den Vorgaben der europäischen Restrukturierungsrichtlinie übereinstimmen oder eine richtlinienkonforme Auslegung erforderlich machen. Die zentrale Frage bleibt, ob die einschlägigen Regelungen Grenzen für die Befolgung entgegenstehender Gesellschafterbeschlüsse setzen, wenn die Geschäftsleiter einer GmbH die Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens im Gläubigerinteresse als notwendig erachten.
1. Die Vorgaben in Art. 19 lit. b RRL
Nach Art. 19 lit. b RRL sind die Mitgliedstaaten verpflichtet sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz die „Notwendigkeit“ gebührend berücksichtigt, „Schritte einzuleiten, um eine Insolvenz abzuwenden“. Dies lässt sich zunächst als Lagebeschreibung verstehen, bei der es zur Abwendung der materiellen Insolvenz des aktiven Tuns bedarf, wobei von Erwägungsgrund 10 S. 2 RRL nicht abschließend Beispiele aufgeführt werden. Die Krisenreaktionspflicht steht auch im Regelungskonzept der Richtlinie ersichtlich unter dem Vorbehalt der Entscheidung eines zuständigen anderen Gesellschaftsorgans, wobei die nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Entscheidungsprozesse in einem Unternehmen jedoch unberührt bleiben sollen. Im Kontext eines möglichen Umsetzungsdefizits spielt die Vorschrift daher keine wesentliche Rolle.
2. Die Vorgaben in Art. 19 lit. a RRL
Die Vorschrift des Art. 19 lit. a RRL schreibt demgegenüber vor, dass von den Mitgliedstaaten sichergestellt werden muss, dass die Unternehmensleitung bei wahrscheinlicher Insolvenz „die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger gebührend berücksichtigt“. Daher wird teilweise vertreten, dass die Anteilsinhaber nicht über die Restrukturierungsanzeige entscheiden dürften, da ihnen andernfalls eine vom europäischen Gesetzgeber nicht gewollte Vorrangstellung eingeräumt werden würde. Dies ist jedoch nicht überzeugend, da die Richtlinie ausweislich ihres Erwägungsgrundes 71 S. 4 „nicht darauf ab(zielt), eine Rangfolge zwischen den verschiedenen Parteien festzulegen, dessen Interessen gebührend berücksichtigt werden müssen“. Anschließend ist formuliert, dass die Mitgliedstaaten in der Lage sein sollten, „eine solche Rangfolge festzulegen“, sodass eine Vorrangstellung der Anteilsinhaber nicht als richtlinienwidrig angesehen werden kann.
3. Die Vorgaben in Art. 12 RRL
Nach Art. 12 RRL ist sicherzustellen, dass die Anteilsinhaber die Annahme, Bestätigung und Umsetzung eines Restrukturierungsplans nicht grundlos verhindern oder erschweren dürfen, woraus vereinzelt die Ablehnung der Letztentscheidungskompetenz der Gesellschafter gefolgert wird. Die Vorschrift beansprucht jedoch vor der Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens keine Geltung und vermittelt auch keine „Vorwirkung“.
4. Pflichtenbindung anderer Gesellschaftsorgane, soweit sie Leitungsaufgaben wahrnehmen?
Der Erwägungsgrund 71 S. 6 RRL, wonach die nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Entscheidungsprozesse in einem Unternehmen unberührt bleiben, zeigt, dass das Weisungsrecht der GmbH-Gesellschafter sowie die entsprechende Folgepflicht der Geschäftsführer bestehen bleibt. Teilweise wurde jedoch erwogen, die Pflichtenbindung aus Art. 19 RRL auch auf die Gesellschafter der GmbH bei deren Weisungserteilung zu erstrecken, sodass eine entgegenstehende Weisung eine Gesellschafterhaftung nach sich ziehe. Andernfalls würde die an die Geschäftsleiter adressierten Bindungen durch abweichende Gesellschafterweisungen wieder suspendiert werden können. Zu beachten ist jedoch, dass (im Gegensatz zum ursprünglichen Richtlinienvorschlag) weder Art. 19 RRL noch die Erwägungsgründe 70 und 71 ihre Verhaltensgebote an Gesellschaftsorgane jenseits der Unternehmensleiter adressieren. Gleichwohl kann eine gewisse Ausstrahlungswirkung von Art. 19 RRL auf Entscheidungen anderer Organe der Gesellschaft insofern in Betracht gezogen werden, als dass die Haftung der Unternehmensleiter nicht durch Maßnahmen anderer zuständiger Organe unterlaufen werden darf. Es bietet sich daher an, vor diesem Hintergrund die einschlägigen Grundlagen der Geschäftsleiterhaftung sowie die Disponibilität der Haftung bei Verletzung gläubigerschützender Leitungspflichten weiter fortzuentwickeln.
Letztendlich bleibt es daher auch hier dabei, dass im Kompetenzgefüge des GmbH-Rechts die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 Abs. 1 StaRUG im Innenverhältnis an einen mit der Mehrheit gefassten billigenden Gesellschafterbeschluss gebunden ist. Die Geschäftsführer dürfen sich selbst dann nicht über einen entgegenstehenden Gesellschafterentscheid hinwegsetzen, wenn sie dies im Gläubigerinteresse als geboten ansehen. Auch die Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie rechtfertigen keine andere Beurteilung, da diese die nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Entscheidungsprozesse in einem Unternehmen unberührt lässt.
VII. Ausblick
Im Hinblick auf die Mindestanforderungen an eine pflichtgemäße Unternehmensleitung aus Art. 19 RRL im Falle wahrscheinlicher Insolvenz bestehen weiterhin erhebliche Rechtsunsicherheiten. Da die Vorgaben aus der Richtlinie möglicherweise eine größere Reichweite haben, als ursprünglich angenommen, muss hier erst eine Klärung durch den EuGH abgewartet werden. Der vorliegende Artikel bietet darüber hinaus lediglich einen Überblick über die verschiedenen Ansichten, welche im Zusammenhang mit der Erforderlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses vertreten werden. Für eine vertiefte Analyse verweisen wir auf den vollständigen Beitrag von Detlef Kleindiek in der Festschrift Heckschen, 2024, S. 371.