Klimaschutz, veränderte Standortbedingungen sowie ein verringertes wirtschaftliches Wachstum und Herausforderungen durch eine (noch schleppende) Digitalisierung. Um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein, benötigt Deutschland Investitionen beispiellosen Umfangs. Diesen Herausforderungen stellt sich der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der Justiz zum „Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen“ (kurz Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG, im Folgenden RefE-ZuFinG) vom 12. April 2023.
Die Leistungsfähigkeit des deutschen Kapitalmarktes wird gestärkt und die Attraktivität des deutschen Finanzplatzes als Teil des europäischen Finanzplatzes befördert. Start-ups, kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und Wachstumsunternehmen wird der Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital erleichtert. Hierfür verfolgt der Entwurf einen holistischen Ansatz und nimmt zentrale Regelungen des Gesellschaftsrechts, Aktienrechts und des Steuerrechts gleichermaßen in den Blick. So sieht er in insgesamt 27 Artikeln umfassende Reformen vor, die vom Spruchverfahrensgesetz, über das Aktienrecht bis hin zum Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes reichen. Dieser Beitrag behandelt die geplante Reform aus notarieller Sicht und konzentriert sich auf die für die rechtsgestaltende Praxis wichtigsten Teilaspekte. Er nimmt insbesondere die geplante Wiedereinführung von Mehrheitsstimmenrechten sowie die Reform des Kapitalanlagegesetzesbuches (KAGB) hinsichtlich des Betriebes von Anlagen zur Energieerzeugung innerhalb eines Immobilienfonds in den Blick.
I. Reform des Kapitalanlagegesetzesbuches hinsichtlich des Betriebes von Anlagen zur Energieerzeugung innerhalb eines Immobilienfonds
1. Derzeitige Regelung
Zur Erzielung zusätzlicher Einkünfte, auch unabhängig von Mieteinnahmen, haben sich deutsche Immobilienfonds zunehmend auf den Betrieb von Anlagen zur Energieerzeugung spezialisiert. Bereits in derzeitiger Fassung ermöglicht § 231 KAGB dies in begrenztem Umfang. Die Formulierung der Regelung ist jedoch mit Unklarheiten verbunden. Dabei muss streng zwischen dem Betrieb der Anlage selbst und der Nutzung ihrer Erzeugnisse unterschieden werden. Auch de lege lata dürfen deutsche Immobilienfonds i. S. d. §§ 230 ff. KAGB bereits Gegenstände erwerben, die zur Bewirtschaftung der Vermögensgegenstände des Immobilien-Sondervermögens erforderlich sind, § 231 Abs. 3 KAGB.
Der Betrieb von Solaranlagen selbst dient dabei unproblematisch der Bewirtschaftung des Immobilien-Sondervermögens. Daraus folgt, dass diese auch von Immobilienfonds erworben werden können. Umstritten ist dagegen, ob auch der Verkauf des produzierten Stroms zulässig ist. Teilweise wird hier vertreten, dass darauf zu achten sei, dass durch den Verkauf des Stroms keine „aktive unternehmerische Bewirtschaftung“ der Immobilie erfolgt. Operative Betätigungen, die zu einer eigenen gewerblichen Tätigkeit der KVG führen seien unzulässig (Conradi, in: Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 231 Rn. 114). Dies wird mit einer BaFin-Stellungnahme begründet, die Investmentvermögen eine operative Tätigkeit untersagt (BaFin, Auslegungsschreiben zum Anwendungsbereich des KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“, Gz. Q 31-Wp 2137-2013/0006). Unklar blieb bisher, ob auch der Verkauf und die Einspeisung von Strom unter den Begriff der operativen Tätigkeit zu subsumieren ist (Dahmen, BKR 2021, 471, 478).
2. Widersprüche zwischen KAGB und InvStG
Widersprüche taten sich dabei insbesondere zwischen dem Investmentsteuerrecht und dem KAGB auf (Dahmen, BKR 2021, 471, 478; Dahmen, GWR 2023, 165, 166). Sowohl KAGB und InvStG definieren Investmentfonds einheitlich. Denn § 1 Abs. 2 InvStG verweist entsprechend auf § 1 des KAGB. Unterschiedlich wird jedoch die Frage der operativen Betätigung behandelt. Denn § 15 Abs. 2 Satz 2 InvStG normiert für die Frage der subjektiven Gewerbesteuerpflichtigkeit klar, dass Immobilienfonds von der Gewerbesteuer befreit sind (Hoffmann, in Korn, EStG, 43. EGL April 2023, § 15 InvStG Rn. 33). In der Konsequenz führt eine aktive unternehmerische Bewirtschaftung nicht zur Gewerbesteuerpflicht, sofern nur die Beteiligung an einem Immobilienfond betrachtet wird. Denn es sei bei Immobilienfonds aufsichtsrechtlich zulässig und üblich, dass sie ihre Immobilien mittelbar über Immobilien-Gesellschaften halten (BT.-Drs. 20/4729, S. 148).
§ 15 Abs. 2 Satz 2 InvStG soll aber dann nicht gelten, wenn die Steuerpflichtigkeit der Immobilien-Gesellschaft selbst (z. B. wenn diese als GmbH oder GmbH & Co. KG betrieben wird) betrachtet wird. Üben Investmentfonds gewerbliche Tätigkeiten, wie das Betreiben von energieerzeugenden Anlagen aus und lagern diese in Immobilien-Gesellschaften aus, kann in solchen Fällen die Immobiliengesellschaft, respektive die hinter ihr stehenden Gesellschafter, der Steuerpflicht unterliegen, sofern die steuerliche Betätigung nicht der Bagatellgrenze in Höhe von 5 Prozent der gesamten jährlichen Einnahmen des Investmentfonds gemäß § 15 Abs. 3 InvStG unterliegt (BMF v. 21.05.2019 - IV C 1 - S 1980-1/16/10010:001, BStBl I 2019, S. 527; Tz. 15.15; Hoffmann, in Korn, EStG, 43. EGL April 2023, § 15 InvStG Rn. 33).
Es ergibt sich also ein klarer Widerspruch bei der Behandlung von Immobilienfonds zwischen dem Aufsichtsrecht und dem Steuerrecht (Dahmen, BKR 2021, 471, 478; Dahmen, GWR 2023, 165, 166). Ein Gleichlauf ergibt sich aus dem Jahressteuergesetz 2022 nur insofern, als dass auch dieses hinsichtlich § 26 Abs. 7a InvStG für Spezialfonds normiert, dass nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB Investmentvermögen keine operativen tätigen Unternehmen außerhalb des Finanzsektors sein dürfen. Ist der Hauptzweck eine gewerbliche Tätigkeit, wie die Erzeugung oder Bereitstellung von Strom, ist dies aufsichtsrechtlich unzulässig (BT.-Drs. 20/4729, S. 148).
3. Regelung im Referentenentwurf
Der Referentenentwurf möchte zunächst regulatorischen Widersprüche beseitigen.
Er stellt klar, dass bereits de lege lata der Betrieb sogenannter Aufdachanlagen mit Bezug zum bebauten Grundstück zulässig ist (RefE-ZuFinG, S. 138). Zugleich erkennt der Entwurf jedoch Grenzen der derzeitigen Rechtslage an. So kommen die zuständigen Ministerien auch hier zu dem Schluss, dass es bestimmte Situationen gibt, in denen sich Abgrenzungs- und Auslegungsprobleme ergeben. Produziert eine Erneuerbare-Energie-Anlage mehr Strom, als benötigt wird oder wollen die Mieter diesen nicht abnehmen, sei bisher unklar, ob auch hier von einem Bewirtschaftungsgegenstand auszugehen sei. Für die Umsetzung der Energiewende, müsse jedoch die Nutzung von Dachflächen zur alternativen Energiegewinnung genutzt werden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum gerade Immobilienfonds auf ihren Dachflächen keine PV-Anlagen aufstellen dürften (RefE-ZuFinG, S. 139). Die Ergänzung entspräche der „technischen Verwaltungspraxis“. Bewirtschaftung sei dabei nicht im streng technischen Sinne zu verstehen (RefE-ZuFinG, S. 139).
Zusätzlich stellt der neu eingeführte § 231 Abs. 6 KAGB n. F. klar, dass für offene Immobilienfond auch die Stromerzeugung zu den zusätzlichen Tätigkeiten zählt (RefE-ZuFinG, S. 139).
Neben dieser gesetzgeberischen Klarstellung sieht der Referentenentwurf Änderungen des § 231 KAGB vor. Er führt hierzu durch Anpassung des § 231 Abs. 1 Nr. 3a KAGB n. F. eine neue Kategorie von Vermögensständen ein und stellt klar, dass Immobilienfonds auch das Investment in unbebaute Grundstücke, die für die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung, um Transport und zur Speicherung von Strom, Gas oder Wärme aus erneuerbaren Energien bestimmt sind, ermöglicht wird. Im Gegensatz zur alten Regelung ist damit neben de Betrieb sogenannter Dachflächenanlagen ausdrücklich auch der Betrieb von Freiflächenanlagen auf unbebauten Grundstücken zulässig. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Gebäude ist nicht mehr erforderlich (RefE-ZuFinG, S. 137). Der Referentenentwurf sieht jedoch auch hier Grenzen vor. So soll es unzulässig sein, Anlagen zu erwerben, die sich auf Grundstücken ohne Bezug zum Immobilienfond befinden. Ferner soll der Erwerb Erneuerbarer-Energie-Anlagen nicht Hauptzweck des Immobilienfonds sein. Daher sieht der Entwurf eine Anlagegrenze von15 Prozent vor (RefE-ZuFinG, S. 138).
4. Bewertung und notwendige Folgeänderungen
Der Referentenentwurf wird hinsichtlich der Änderungen das KAGB wohl überwiegend positiv rezipiert. So bemerkt Dahmen lobend, dass der Referentenentwurf „Klarheit für eine umstrittene Teilmaterie des Investmentrechts“ (Dahmen, GWR 2023, 165, 167) schaffe. Teilweise werden in den Stellungnahmen jedoch regulatorische Folgeanpassungen angeregt. So schlägt der BVI vor, § 1 Abs. 19 Nr. 22 KAGB zu ändern und statt der Formulierung „zur Bewirtschaftung der Immobilien erforderlichen“ pauschal auf Gegenstände im Sinne des § 231 Abs. 3 KAGB zu verweisen (BVI, BVI-Position zum Referentenentwurf von BMF und BMJ: Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG). Auch der ZIA sieht die Vorschläge grundsätzlich in einem positiven Licht, regt jedoch darüber hinaus an, § 231 Abs. 3a KAGB auch auf in Bebauung befindliche Grundstücke auszuweiten (ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., Stellungnahme, Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG).
Gemein ist den Stellungnahmen zudem, dass Sie notwendige Folgeanpassungen, etwa im Hinblick auf § 26 Nr. 7a InvStG, fordern (Dahmen, GWR 2023, 165, 167; BVI, BVI-Position zum Referentenentwurf von BMF und BMJ: Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG). ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., Stellungnahme, Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG).
II. Wiedereinführung von Mehrheitsstimmenrechten
1. Regelungen im Referentenentwurf
Das bisherige Verbot von Mehrstimmrechten nach § 12 Abs. 2 AktG wird nach dem Referentenentwurf ersatzlos gestrichen, was ausweislich der Entwurfsbegründung internationalen Trends, Bedürfnissen der Unternehmenspraxis und Forderungen im Schrifttum entspricht. In diesem Zuge wird insbesondere § 134 AktG um den neuen Absatz 2 ergänzt, der die Rahmenbedingungen für die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien schafft. Dabei ordnet die Entwurfsbegründung die Mehrstimmrechtsaktien als eigene Gattung ein, die nach § 23 Abs. 3 Nr. 4 AktG in der Satzung auszuweisen ist (RefE-ZuFinG, S. 97). § 134 Abs. 2 AktG-E beschränkt die Zulässigkeit von Mehrstimmrechtsaktien nicht auf Fälle, in denen die Gesellschaft eine Börsennotierung in einem KMU-Wachstumsmarkt anstrebt (RefE-ZuFinG, S. 97).
Nach § 134 Abs. 2 Satz 1 AktG-E kann die Satzung nur Namensaktien mit Mehrstimmrechten vorsehen. § 134 Abs. 2 Satz 2 AktG-E sieht eine Stimmrechtsbeschränkung dahingehend vor, dass die Mehrstimmrechte höchstens das Zehnfache des Stimmrechts nach § 134 Abs. 1 Satz 1 AktG betragen dürfen. Beschlüsse über die Ausstattung oder Ausgabe von Aktien mit Mehrstimmrechten bedürfen nach § 134 Abs. 2 Satz 3 AktG-E der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre. Daraus folgt nach der Entwurfsbegründung zum einen, dass Mehrstimmrechtsaktien nicht durch Ausübung eines genehmigten Kapitals ausgegeben werden können. Zum anderen dürfte § 134 Abs. 2 Satz 3 AktG-E dazu führen, dass Mehrstimmrechtsaktienstrukturen faktisch nur in geschlossenen Gesellschaften mit einem überschaubaren Aktionärskreis etabliert werden können (RefE-ZuFinG, S. 97).
Dem Schutz der Aktionäre börsennotierter Gesellschaften dient § 134 Abs. 2 Satz 4 AktG-E, der eine Veräußerungsverfallsklausel vorsieht. Danach erlöschen Mehrstimmrechte bei einer börsennotierten Gesellschaft im Falle der Übertragung der Mehrstimmrechtsaktie spätestens zehn Jahre nach der Börsennotierung der Gesellschaft, sofern die Satzung keine kürzere Frist vorsieht. Die zeitbezogene Verfallsklausel des § 134 Abs. 2 Satz 4 AktG-E kann gemäß § 134 Abs. 2 Satz 5 AktG-E in der Satzung modifiziert werden. So kann die vorgenannte Frist in der Satzung um einen bestimmten Zeitraum von bis zu zehn Jahren verlängert werden, wobei der Verlängerungsbeschluss nach § 134 Abs. 2 Satz 6 AktG-E frühestens ein Jahr vor Ablauf der Frist nach § 134 Abs. 2 Satz 4 AktG-E gefasst werden kann und einer Mehrheit bedarf, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst. Schließlich kann die Satzung für den Fristverlängerungsbeschluss eine größere Kapitalmehrheit bestimmen und weitere Erfordernisse aufstellen, vgl. § 134 Abs. 2 Satz 7 und 8 AktG-E (RefE-ZuFinG, S. 99).
Die Änderungen der §§ 12, 134 AktG erfordern weitere Anpassungen des Aktiengesetzes: zum einen im Hinblick auf die Angaben im Teilnehmerverzeichnis zur Hauptversammlung (§ 129 Abs. 1 Satz 2 AktG-E), zum anderen im Hinblick auf die Feststellung der Beschlussfassung bei börsennotierten Gesellschaften (§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AktG-E). Flankiert werden die aktienrechtlichen Neuregelungen durch eine Anpassung des § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG, die die Transparenz im Hinblick auf Mehrstimmrechtsaktien fördern soll. Schließlich sollen Mehrstimmrechtsaktien auch im eWpG Berücksichtigung finden, und zwar im Zusammenhang mit Registereintragungen und Änderungen des Registerinhalts (RefE-ZuFinG, S. 100 ff.; 106 ff.).
§ 134 Abs. 8 AktG-E eröffnet zudem die Möglichkeit, in den Satzungen weitere Einschränkungen von Mehrstimmenrechten vorzunehmen, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen (RefE-ZuFinG, S. 100). Ein Blick in die US-amerikanische Praxis eröffnet dabei zahlreiche spannende Gestaltungsmöglichkeiten durch sunset-clauses (Gestaltungsmöglichkeiten bei Gebhard/Herzog, ZIP 2023, 1161, 1167). So bieten etwa Verwässerungsklauseln einen Schutz, indem Sie Mehrstimmen erlöschen lassen, wenn ihr Anteil derart gering geworden ist, dass eine wirksame Kontrolle nicht mehr möglich wäre. Schutz vor dem Verkauf von Aktien mit einfachem Stimmrecht, die oft von Investoren beim Börsengang neben Mehrstimmenaktien erworben werden, bieten Divestitionsklauseln (Gebhard/Herzog, ZIP 2023, 1161, 1168). Zuletzt kann durch separation based sunset clauses das Bestehen des Mehrstimmenrechts an das Beschäftigungs- und Organverhältnis gekoppelt werden (eingehend hierzu: Gebhard/Herzog, ZIP 2023, 1161, 1168).
Der seither geltende Grundsatz „one share - one vote“ zur Übereinstimmung von Stimmrecht und Anteilseigentum wird mit der Wiedereinführung des Mehrstimmrechts in der Aktiengesellschaft weitgehend aufgeweicht (Gebhard/Herzog, ZIP 2023, 1161).
2. Bewertung
Die Wiedereinführung von Mehrstimmenrechten findet zumindest für nicht börsennotierte Gesellschaften teilweise Zustimmung. Denn aktienrechtliche Kapitalmehrheitserfordernisse bieten Aktionären auch weiterhin einen (Mindest-)Schutzstandard (Nicolussi, AG 2022, 753; zustimmend Gebhard/Herzog, ZIP 2023, 1161, 1165). Auch kenne Aktienrecht auch derzeit schon Durchbrechungen des „One Share, one Vote“-Grundsatzes, etwa bei der KGaA oder im Rahmen von Vorzugsaktien im Sinne des § 139 AktG, sodass letztlich zusammenfassend die Privatautotomie der Gründer hinsichtlich der Entscheidung pro und contra Kapitalmarkttauglichkeit den Ausschlag geben muss (Gebhard/Herzog, ZIP 2022, 1893, 1898 f.).
Kritischer zu betrachten ist jedoch die Wiedereinführung von Mehrstimmenrechten in börsennotierten Gesellschaften. Zuzugeben ist, dass sich der deutsche Gesetzgeber im Licht des EU Listing Acts sowie im Vergleich mit anderen nationalen Rechtsordnungen im Zugzwang befindet, um die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzstandorts Deutschland zu erhalten (Nicolussi, AG 2022, 753). Dennoch muss der Wiedereinführung von Mehrstimmenrechten mit erheblichen wirtschaftspolitischen Bedenken begegnet werden (Gebhard/Herzog, ZIP 2022, 1893, 1898 f.). Einerseits entkoppeln diese Stimmengewicht und finanzielle Beteiligung des Aktionärs, was zu opportunistischem Verhalten führen kann. Mehrstimmenrechte blockieren überdies feindliche Übernahmen, die im Gegenzug Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit steigern können (Gebhard/Herzog, ZIP 2023, 1161, 1163). Nicht zuletzt ist das nationale Regulierungsbedürfnis ein anderes und dem Staat wird traditionell eine größere Bedeutung bei der Schaffung wettbewerbsfähiger Organisationsmodelle zugestanden. Dieses Bedürfnis nach einheitlichen und kohärenten Regelungen kommt etwa im Grundsatz der Satzungsstrenge nach § 23 Abs. 5 AktG zum Ausdruck (Gebhard/Herzog, ZIP 2023, 1161, 1164).