I. Hintergrund
Die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht ist weiterhin dynamisch und wird von der EU und dem Bundesjustizministerium vorangetrieben. Den Startschuss bildete die Digitalisierungsrichtlinie 2019/1151. Diese setzte die Vorgaben des sog. Company Law Packages (vgl. dazu Linke, NZG 2021, 309; Bormann/Stelmaszczyk, NZG 2019, 601; Heckschen, NotBZ 2020, 241) um. Deren Vorgaben sind in Deutschland im Jahr 2021 mit dem Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) implementiert worden. Hintergrund dieser neuen Regelungen ist ein angestrebter Gewinn an Kostenersparnis und Zeiteffizienz. Das Herzstück des DiRUG ist die Online-Gründung der GmbH (ausf. dazu Knaier, in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 5. Aufl. 2023, Kap. 2 Rz. 150 ff.). Auch für weitere Registeranmeldungen sind Online-Verfahren vorgesehen. Die im DiRUG enthaltenen Digitalisierungsfortschritte und Innovationen gingen der Bundesregierung jedoch nicht weit genug. Das DiRUG wurde daher – ebenfalls im Jahr 2022 – durch das DiREG ergänzt (ausf. dazu Heckschen, NZG 2022, 885). Durch dieses Gesetz wurde die Online-Beurkundung ausgeweitet. Darüber hinaus kam es zu Erleichterungen bei Online-Anmeldungen. Schließlich wurden erstmals Regelungen zu der virtuellen Gesellschafterversammlung in der GmbH getroffen.
II. Grundlagen
An diese jüngeren Entwicklungen knüpft die EU-Kommission, welche sich in ihrem Arbeitsprogramm das Motto „Ein Europa für das digitale Zeitalter“ auf die Fahne geschrieben hat, mit ihrem jüngsten Vorschlag an. Am 23.03.2023 hat die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Ausweitung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im EU-Gesellschaftsrecht vorgestellt, durch welchen die Digitalisierungsrichtlinie durch die Aufnahme neuer Vorschriften und die Änderung bestehender Vorschriften weiterentwickelt werden soll (Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directives 2009/102/EC and (EU) 2017/1132 as regards further expanding and upgrading the use of digital tools and processes in company law, COM(2023) 177 final). Ziel dieser Gesetzgebungsinitiative ist es, bestehende Formalitäten bei grenzüberschreitenden Unternehmensaktivitäten weiter abzubauen und den Zugang zu registergebundenen Unternehmensinformationen zu verbessern. Dies gilt insbesondere für Konstellationen, in denen Unternehmen Informationen aus Unternehmensregistern in grenzüberschreitenden Situationen, wozu auch Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gehören, verwenden. Durch diese neuen Vorgaben soll es zu stärker digitalisierten und vernetzten grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen für Gesellschaften kommen. Die Kommission möchte auf diesem Weg auch die Transparenz und das Vertrauen der Binnenmarktteilnehmer in grenzüberschreitende Geschäftstätigkeiten stärken. Dies soll es schließlich auch anderen Behörden auch erleichtern, Missbrauch zu bekämpfen. Gleichzeitig soll der in dem Vorschlag verbundene Bürokratieabbau jährlich rund 437 Mio. EUR an Verwaltungskosten einsparen. Insbesondere sollen kleine und mittlere Unternehmen entlastet werden. Ein Ziel besteht darin, die Gründung ausländischer Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften bzw. ganz allgemein grenzüberschreitende Geschäftsaktivitäten zu erleichtern.
III. Der Entwurf im Einzelnen
Der bislang nur in englischer Sprache vorliegende Entwurf besteht im Wesentlichen aus den folgenden Vorschlägen, welche in die bestehende GesR-RL (RL 2017/1132), in der sich auch die Digitalisierungsrichtlinie wiederfindet, implementiert werden sollen, wobei Personenhandelsgesellschaften und Partnerschaftsgesellschaften sowie die EWiV ausdrücklich mit einbezogen werden. Anders als z. B. bei der Mobilitätsrichtlinie (ausf. dazu Habersack, ZHR 187 (2023), 48; Heckschen/Knaier, GmbHR 2023, 317) sind also nicht nur Kapitalgesellschaften Ziel der Kommission.
1. Zwingende vorbeugende Kontrolle bei Gründung und Satzungsänderungen
Der Kommissionsentwurf sieht eine Neufassung des Art. 10 GesR-RL-E vor. Die vorgeschlagene Neuregelung beinhaltet die vorbeugende Kontrolle durch Verwaltung oder Judikative im Falle der Gründung und bei jeder Änderung des Errichtungsakts oder der Satzung bei Personen- und Kapitalgesellschaften. Dies gilt unabhängig davon, ob die Gründungsform online, hybriden oder offline ist. Zudem sollen Mindeststandards für diese Rechtmäßigkeitsprüfung festlegt werden. Diese beinhalten gem. Art. 10 Abs. 2 GesR-RL-E die Einhaltung der formalen Anforderungen an den Gründungsakt bzw. die Satzung, das Nichtvorliegen offensichtlicher materiell-rechtlicher Unregelmäßigkeiten und die Kontrolle, dass die Geld- oder Sacheinlage im Einklang mit dem nationalen Recht geleistet worden ist. Der Entwurf sieht die Möglichkeit der Beteiligung von Notaren an dieser vorgelagerten Kontrolle ausdrücklich vor.
Spannend wird es sein, wie Länder, die im Prinzip nur Unternehmensdateien führen (Malta, Zypern, Irland), diese Vorgaben umsetzen.
2. Erweiterung der Registerinhalte
Zunächst sollen die bestehenden Registerinhalte erweitert wird. Dies gilt gem. Art. 14a GesR-RL-E in persönlicher Hinsicht für die Offenlegung von Informationen über Personengesellschaften. Diese sollen zukünftig Informationen wie beispielsweise den Namen, die Rechtsform oder den Vertragssitz in den nationalen Registern und über das durch die Digitalisierungsrichtlinie eingeführte System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (Business Registers Interconnection System bzw. BRIS) offenlegen müssen. Das BRIS verknüpft die mitgliedstaatlichen Register und ermöglicht die unionsweite Suche nach Informationen aus mitgliedstaatlichen Unternehmensregistern. Die erfassten deutschen Personengesellschaftsformen sind entsprechend des Annexes II zum Kommissionsentwurf die oHG und die KG. Die – ab dem 01.01.2024 durch das MoPeG (ausf. dazu Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 1. Auflage 2022; Wertenbruch, JZ 2023, 78) reformierte – (eingetragene) GbR wird hingegen nicht erfasst.
Darüber hinaus sollen zukünftig gem. Art. 14b GesR-RL-E auch konzernbezogenen Informationen offengelegt werden müssen. Dazu zählen beispielsweise der Name und die Rechtsform jeder Tochtergesellschaft sowie der Mitgliedstaat, in welchem diese eingetragen sind. Grundsätzlich soll die Muttergesellschaft in ihrem nationalen Register grundlegende Informationen auch über alle ihre Tochtergesellschaften offenlegen. Dies gilt jedoch nur insoweit, als die Muttergesellschaft dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt. Unterliegt die oberste Muttergesellschaft dem Recht eines Drittlandes, solle die Offenlegungspflicht von der in einem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft erfüllt werden, die der obersten Muttergesellschaft in der Kette am nächsten steht. Darüber hinaus soll auch eine Visualisierung der mitunter komplexen Konzernstrukturen durch das System der Registerverknüpfung zur Verfügung gestellt werden.
Schließlich sollen Kapitalgesellschaften künftig gem. Art. 14 lit. l, m GesR-RL-E auch die Lokalisierung ihrer Hauptverwaltung und ihre Hauptniederlassung offenlegen, wenn diese nicht in dem Mitgliedstaat, in dem der Satzungssitz lokalisiert sind, belegen sind. Diese Vorschrift dient dem Schutz der Stakeholder (insbes. Gläubiger) durch Transparenz. Sie werden dadurch in die Lage versetzt, fundierte Entscheidungen zu treffen und ihre Interessen schützen können.
3. Grundsatz der einmaligen Erfassung („once-only principle“)
Gegenwärtig besteht die Bürde, dass grenzüberschreitend aktive Unternehmen dieselbe Information mehrfach in unterschiedlichen Mitgliedstaaten einreichen müssen. Dies verursacht für die Unternehmen unnötigen Aufwand und unnötige Kosten. Hier setzt die Kommission an. Nach dem vorgeschlagenen Grundsatz der einmaligen Erfassung müssen Unternehmen bei der Errichtung einer Zweigniederlassung oder eines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat die bereits in ihrem nationalen Unternehmensregister verfügbaren Informationen künftig nicht erneut dem Register des Mitgliedstaats, in dem die Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung angemeldet werden soll, übermitteln. Stattdessen sollen die Unternehmensregister die entsprechenden Informationen über das durch die Digitalisierungsrichtlinie eingeführte und mittlerweile in der Praxis bewährte System BRIS austauschen (vgl. Art. 13g Abs. 2a, 28a Abs. 5a GesR-RL-E). Das Register, in dem die Gesellschaft gegründet werden soll, soll diese Informationen aus dem BRIS abrufen.
4. Verknüpfung des BRIS mit Registern über Insolvenz und wirtschaftliche Eigentümer
Das BRIS soll zukünftig mit den mitgliedstaatlichen Insolvenzregistern (insolvency registers interconnection – IRI) und den Registern wirtschaftlicher Eigentümer (beneficial ownership registers interconnection system – BORIS)) verknüpft werden. Dadurch soll eine vereinfachte Suche nach Informationen über in der EU ansässige Unternehmen ermöglicht werden. Den Unternehmen soll aufgetragen werden, dass die in den Registern enthaltenen Informationen stets auf dem neuesten Stand müssen. Dies soll einerseits dadurch gelingen, dass Gesellschaften gehalten sind, ihre Informationen in den Unternehmensregistern rechtzeitig zu aktualisieren und einmal jährlich zu bestätigen, dass die Informationen auf dem neuesten Stand sind (vgl. Art. 15 GesR-RL-E). Wenn innerhalb eines Jahres keine Änderung eingetreten ist, soll die Mutter- oder Tochtergesellschaft dies ihrem Register bestätigen. Zur Durchsetzung dieser Vorgaben sollen die Mitgliedstaaten gewährleisten müssen, dass Sanktionen verhängt werden, wenn Gesellschaften Informationen nicht oder verspätet bei den Registern einreichen.
5. Einheitliches EU-Gesellschaftszertifikat
Zukünftig soll gem. Art. 16b GesR-RL-E ein von dem Register ausgestelltes – analog und elektronisch verfügbares – EU-Gesellschaftszertifikat mit grundlegenden Informationen über das jeweilige Unternehmen in allen mitgliedstaatlichen Sprachen und kostenlos verfügbar sein. Dieses wird von den mitgliedstaatlichen Registern ausgestellt. Die Gesellschaft kann dadurch grundlegende Informationen wie beispielsweise Existenz, Rechtsform, Sitz, Vertretung nachweisen. In diesem Gesellschaftszertifikat werden darüber hinaus wesentliche Gesellschaftsinformationen wie beispielsweise die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen, in Steuerangelegenheiten oder Genehmigungsverfahren in einem anderen Mitgliedstaat, verfügbar sein. Das Zertifikat muss in allen Mitgliedstaaten als schlüssiger Beweis für die Gründung der Gesellschaft und die in ihm enthaltenen Informationen anerkannt werden. Es wird allerdings aus dem bisherigen Entwurfstext nicht hinreichend klar, ob ein ganz wesentliches Problem des derzeitigen grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs endlich gelöst wird: Aus vielen Registern in Europa ist zwar ersichtlich, wer die vertretungsberechtigten Personen eines Unternehmens sind, nicht aber, wie sie vertreten können, wenn mehrere Vertretungsberechtigte bestellt sind. Anders als in Deutschland ist z. B. in Frankreich oder in den Niederlanden aus dem Register nicht erkennbar, ob mehrere vertretungsberechtigte Personen einzeln oder nur gemeinsam und in welcher Weise sie vertretungsberechtigt sind. Art. 16b Abs. (2) lit. k) ist insoweit unklar, da bei gesamtvertretungsberechtigten Personen nicht eindeutig geregelt ist, in welcher Weise sie mit anderen vertretungsberechtigten Personen vertreten dürfen. Insoweit stellt sich zu diesem Zertifikat die Frage, ob es auch aus Staaten, die bisher keine Registerprüfung nach deutschem Verständnis vorsehen (Malta, Zypern, Irland), zu akzeptieren ist.
6. Standardisierte EU Power of Attorney
Darüber hinaus ist die Einführung einer mehrsprachige Mustervollmacht, mit der eine Person in digital beglaubigter Form zur Vertretung eines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat ermächtigt wird, vorgesehen. Diese muss im gesamten Binnenmarkt akzeptiert werden. Die Vollmacht wird aber weiter nach nationalem Recht erstellt und kann auch nach nationalem Recht widerrufen werden. Die Vollmacht soll im Unternehmensregister des Unternehmens hinterlegt werden. Dritte mit einem berechtigten Interesse sollen sie dort abrufen können. Ob eine derartige Vollmacht wirklich großen Nutzen bringt, erscheint sehr fraglich, da die Vollmachtgeber in der Praxis stets eine Vielzahl von Einschränkungen etc. wünschen. An dem Vorschlag der Mustervollmacht wird zu arbeiten sein.
7. Beseitigung weiterer Formalitäten, z.B. Entbehrlichkeit einer Apostille
Um Bürokratieaufwand einzusparen, sieht der Entwurf in Art. 16d und 16f die Beseitigung von Formalitäten wie der Notwendigkeit einer Apostille oder beglaubigter Übersetzungen von Unternehmensdokumenten vor, wenn beglaubigte Register- oder notarielle Dokumente zu einem gesellschaftsrechtlichen Vorgang grenzüberschreitend in einem anderen Mitgliedstaat verwendet werden. Die Beseitigung der Notwendigkeit einer Apostille im europäischen Rechtsverkehr des Gesellschaftsrechts wäre ein Meilenstein. Die Einholung einer Apostille (vereinfacht: einer Bestätigung, dass z.B. der Notar auch wirklich Notar ist) nimmt in der Praxis viel Zeit in Anspruch und löst erheblichen finanziellen Aufwand aus. Die Apostille war bislang beispielsweise bei der Gründung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich und für fast jede notarielle Urkunde im grenzüberschreitenden Bereich, mit Ausnahme des Rechtsverkehrs mit Frankreich und Österreich, unerlässlich. Durch den Vorschlag würden Verwaltungshürden daher substantiell gesenkt. Das gleiche soll auch für Dokumente und Informationen gelten, die über das BRIS ausgetauscht werden sowie für notarielle Urkunden oder Verwaltungsdokumente im Zusammenhang mit den Verfahren nach der GesR-RL (z.B. Eintragung von Zweigniederlassungen oder grenzüberschreitende Umwandlungen).
IV. Fazit und Ausblick
Es ist sehr zu begrüßen, dass die Kommission bemüht ist, die Binnenmarktintegration weiter auszubauen und ein besseres wirtschaftliches Umfeld für Unternehmen, Verbraucher und Stakeholder wie beispielsweise Investoren und Gläubiger (Stichwort: Transparenz) zu erreichen. Der Entwurf scheint überwiegend ausgewogen und sehr zielführend. Die vorgeschlagenen Verbesserungen in puncto Digitalisierung fügen sich nahtlos in die vorangegangenen Maßnahmen ein und erscheinen geeignet, die anvisierten Ziele zu erreichen. Der Entwurf hat das Potential, die bestehenden bürokratischen Hürden spürbar abzusenken und dadurch den Binnenmarkt zu stärken. Hiervon werden insbesondere kleine und mittlere Unternehmen profitieren, die im gesamten Binnenmarkt rund 98 – 99 Prozent aller Unternehmen ausmachen. In den nächsten Monaten werden sich das Europäische Parlament und der Rat als Gesetzgebungsorgane mit dem Vorschlag beschäftigen. Es kann daher noch zu inhaltlichen Änderungen kommen. Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass die die Vorgaben innerhalb von zwei Jahren ab Inkrafttreten der neuen Richtlinie umsetzen müssen. Bis zum Inkrafttreten der neuen nationalen Regelungen wird daher noch einiges an Zeit vergehen.