Die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts – Virtuelle Versammlungen – An was ist zu denken?

In einem Beitrag, der in der ZIP 2022, 670 erschienen ist, untersuche ich gemeinsam mit Raphael Hilser, welche Anforderungen an eine Funktionsäquivalenz einer virtuellen/hybriden Gesellschafterversammlung zu stellen sind. Das Bundesjustizministerium hat jüngst mit den Entwürfen vom 21.03.2022 und vom 22.03.2022 Vorschläge für die virtuelle Hauptversammlung sowie zur weiteren Digitalisierung des Gesellschaftsrechts und insoweit auch zur virtuellen Gesellschafterversammlung bei der GmbH veröffentlicht. Der BGH hatte mit seiner Entscheidung vom 05.10.2021 (Az. II ZB 7/21) dem Gesetzgeber aufgezeigt, dass dort, wo er virtuelle Versammlungen zulässt, in jedem Fall sichergestellt sein muss, dass es eine sog. Zwei-Wege-Kommunikation gibt. Veranstaltungen, wie die derzeit nach dem COVMG zulässigen Hauptversammlungen, die nur in einer Ein-Wege-Kommunikation seitens der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter/Aktionär bestehen, hält er außerhalb des vom Gesetzgeber Vorgegebenen für unzulässig. Er hatte in einem Verfahren trotz gesetzgeberischer Regelung für die Genossenschaft entschieden, dass die dort durch den Gesetzgeber vorgesehene virtuelle Versammlung nur dann wirksam Umwandlungsbeschlüsse fassen kann, wenn eine Zwei-Wege-Kommunikation sichergestellt ist. Konkret geht es um die Gleichwertigkeit von Präsenzversammlungen gegenüber virtuellen Versammlungen. Immer ist zunächst die Frage zu stellen, wer überhaupt zuständig ist, um eine derartige Versammlung einzuberufen. Hier herrscht in der Literatur derzeit Streit. Es ist zu fordern, dass diese Zuständigkeit dem Geschäftsführer zu entziehen ist. Virtuelle Versammlungen sollten nur möglich sein, wenn sich die Gesellschafter zumindest mit einer qualifizierten Mehrheit dafür entscheiden. Unsere Erfahrungen in der Praxis belegen, dass viele Gesellschaften grundsätzlich derartige Versammlungen nur dann durchführen wollen, wenn wirklich alle Gesellschafter mit diesem Kommunikationsformat einverstanden sind.

Bisher wird das Thema Geheimhaltung im Zusammenhang mit hybriden und virtuellen Versammlungen überhaupt nicht diskutiert. Es ist unter Experten der Datensicherheit völlig unstrittig, dass sowohl Online-Versammlungen im Format bspw. von ZOOM oder anderen Anbietern überhaupt keine Datensicherheit bieten. Selbst die Vergabe von Zugangscodes verhindert nicht, dass Dritte sich mit einschalten können. Dies müssen die Gesellschaften, ihre Gesellschafter, aber auch der Gesetzgeber und die Rechtsprechung berücksichtigen. Wenn virtuelle/hybride Versammlungsformate zugelassen werden, sollte die Gesellschaft im eigenen Interesse festlegen, dass eine qualifizierte Eingangskontrolle, z.B. über Zugangscodes in Kombination mit Gesichtserkennungsprogrammen, vorgesehen wird. Der Gesetzgeber hatte hier eine viel bessere Lösung im DiRUG vorgeschlagen, wo über eine sichere Verhandlungsplattform die Gründung der GmbH ermöglicht wird. Im sog. DiREG-RefE ist richtigerweise vorgesehen, dass unter Zustimmung aller Gesellschafter eine virtuelle Versammlung stattfinden kann und dort, wo eine notarielle Beurkundung erforderlich ist, muss dann auch über eine derartige Plattform kommuniziert werden. Dies ist äußerst sinnvoll und wahrt die Interessen der Gesellschafter und der Gesellschaft an Geheimhaltung, Eingangskontrolle und durchgängiger Präsenzkontrolle.

Dennoch darf nicht verkannt werden, dass die Kommunikationsatmosphäre und der Meinungsaustausch in einem Präsenzformat erheblich vorteilhafter ist als in einem Online-Format. Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaften belegen nachdrücklich, dass nicht nur die Teilnehmer bei Online-Veranstaltungen deutlich schneller müde werden, sondern häufig unkonzentriert sind und angesichts der gleichzeitigen Beschäftigung mit mehreren Themen auch unaufmerksam sind. Es leidet die Aufmerksamkeit, es leidet die Diskussionskultur und die Gesellschaften sollten sich wirklich überlegen, ob sie nicht doch für wichtige Entscheidungen das Präsenzformat vorschreiben. Wichtig ist auch die Kontrolle der Abstimmungsvorgänge. Es ist bekannt, dass bspw. bei virtuellen Mitgliederversammlungen von Schalke 04 oder Dynamo Dresden der Abstimmungsvorgang gehackt wurde. Das Thema Datensicherheit sollte für den Gesetzgeber ebenso wie für die Gesellschaft die ihm gebührende Bedeutung gewinnen. In dem Beitrag ZIP 2022, 670 untersuchen wir auch besondere Versammlungsformen, wie die audiovisuelle Versammlung, Telefonkonferenz, den Chat und zeigen auf, wo Gestaltungsbedarf für die Praxis besteht.

Autor: Prof. Dr. Heribert Heckschen, Notar, Dresden

 

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