Update: Änderung des Abstammungsrechts geplant

I. Einleitung

Schon in der letzten Legislaturperiode wurde eine Änderung des Abstammungsrechts diskutiert, ein Arbeitskreis Abstammungsrecht gebildet und ein Diskussionsteilentwurf zur Reform des Abstimmungsrechts erstellt. Umgesetzt wurde das Vorhaben nicht. Auf Seite 101 des Koalitionsvertrags der aktuellen Ampelkoalition vom 24.11.2021 heißt es zum Abstammungs- und Familienrecht für Regenbogenfamilien nun:

“Wir werden das Familienrecht modernisieren. Hierzu werden wir das „kleine Sorgerecht“ für soziale Eltern ausweiten und zu einem eigenen Rechtsinstitut weiterentwickeln, das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann. (...) Wir wollen Vereinbarungen zu rechtlicher Elternschaft, elterlicher Sorge, Umgangsrecht und Unterhalt schon vor der Empfängnis ermöglichen. Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist. Die Ehe soll nicht ausschlaggebendes Kriterium bei der Adoption minderjähriger Kinder sein. Auch außerhalb der Ehe soll die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich sein.”

 

II. Aktuelle Rechtslage

Das Abstammungsrecht (§§ 1591 – 1600e BGB) regelt, wer die rechtlichen Eltern eines Kindes sind. Solche Regelungen sind notwendig, da rechtliche Elternschaft und biologische/genetische Elternschaft auseinanderfallen können. Es gibt bei der gesetzlichen Eltern-Kind-Zuordnung aktuell zwei Ebenen, die sog. Primärebene bei der Geburt und eine nachträgliche Korrekturmöglichkeit, die sog. Sekundärebene. Die Zuordnung des Kindes nach der Geburt zu seinen Eltern erfolgt anhand einfach feststellbarer Kriterien, damit sichergestellt ist, dass das Kind möglichst schon mit der Geburt zwei rechtliche Eltern bekommt.

§ 1591 BGB bestimmt, dass Mutter eines Kindes die Frau ist, die es geboren hat. Dies gilt auch, wenn das Kind genetisch nicht von ihr abstammt, etwa weil es mit der Eizelle einer anderen Frau gezeugt wurde. Hierzu kann es z.B. aufgrund einer im Ausland durchgeführten Eizell- oder Embryonenspende kommen, da solche Behandlungen in Deutschland (noch) verboten sind.

Vater ist nach § 1592 BGB derjenige Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt entweder mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, oder der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt worden ist. Die rechtliche und biologische/genetische Vaterschaft kann daher auseinanderfallen, etwa wenn ein Kind mithilfe der Samenspende eines Dritten oder von einem anderen Mann als dem Ehemann oder ihrem die Vaterschaft anerkennenden Partner der Frau gezeugt wird. Bei der zweiten Elternstelle (Vater) kann nach dem Abstammungsrecht eine nachträgliche Korrektur vorgenommen werden, wenn das Kind einen anderen genetischen als rechtlichen Vater hat.

Diese Korrekturmöglichkeiten sind aber nicht unendlich. Es kommt u.a. darauf an, ob zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind bereits eine sozial-familiäre Beziehung besteht, die entsprechend schützenswert ist und einer Korrektur entgegensteht. Ist das Kind durch Samenspende eines Dritten gezeugt worden, regelt § 1600d Abs. 4 BGB, dass der Samenbank-Samenspender nicht als rechtlicher Vater festgestellt werden kann. Nimmt ein heterosexuelles Ehepaar eine private Samenspende in Anspruch, so hat dieser Samenspender kaum Möglichkeiten, rechtlicher Vater zu werden, da er eine bestehende Elternschaft des rechtlichen Vaters nicht anfechten kann (BGH v. 15.05.2013 − XII ZR 49/11, NJW 2013, 2589 Rn. 21 f.).

Der private Samenspender kann aber gemäß § 1686a BGB, wenn er ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat, unter dem Vorbehalt des Kindeswohls Recht auf Umgang mit seinem leiblichen Kind geltend machen. Darüber hinaus steht ihm bei berechtigtem Interesse ein Recht auf Auskunft über das Kind zu.

Gibt es – außerhalb der Ehe – keinen rechtlichen Vater, kann der private Samenspender gerichtlich als Vater festgestellt werden.

 

III. Zwei-Mütter-Familien

Nach der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Oktober 2017, wurde zwar das Adoptionsrecht im Hinblick auf diese Änderungen angepasst. Zu einer Änderung des Abstammungsrechts ist es aber – trotz Diskussionen in der letzten Legislaturperiode – noch nicht gekommen. Nachteilig betroffen davon sind insbesondere Zwei-Mütter-Familien.

Das Abstammungsrecht sieht bisher keine unmittelbar auf die Geburt folgende gemeinsame Elternschaft in Zwei-Mütter-Familien vor, bei denen eine der beiden Frauen das Kind nach einer Samenspende geboren hat. Nach derzeit geltender Rechtslage ist hier zur Erlangung gemeinsamer rechtlicher Elternschaft immer eine (Stiefkind-)Adoption durch die Frau notwendig, die das Kind nicht geboren hat. Ansonsten bleibt die zweite Elternstelle – dauerhaft – frei.

 

IV. Reform

Im Bundesministerium der Justiz wird derzeit an der Umsetzung der Vorgaben des Koalitionsvertrages zur Modernisierung des Familienrechts gearbeitet. In Bezug auf das Abstammungsrecht haben die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag folgendes vereinbart:

  • Ein Kind, das in die Ehe zweier Frauen geboren wird, soll automatisch zwei rechtliche Mütter haben, sofern nichts anderes vereinbart ist.
  • Vereinbarungen zur rechtlichen Elternschaft (sowie zur elterlichen Sorge, zum Umgangsrecht und zum Unterhalt) sollen ermöglicht werden.
  • Außerhalb der Ehe soll die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich sein.
  • Es soll ein statusunabhängiges Feststellungsverfahren eingeführt werden, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann, ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen.
  • Das Samenspenderregister soll für bisherige Fälle, private Samenspenden und Embryonenspenden geöffnet werden.

Das BMJ erklärt, dass in der Abstammungsrechtsreform auch geregelt werden solle, mit welcher Bezeichnung Eltern nach einer Änderung ihres Geschlechtseintrags in der Geburtsurkunde ihrer Kinder eingetragen werden können. Gemäß dem im Juni 2022 veröffentlichten gemeinsamen Eckpunktepapier zum Selbstbestimmungsgesetz des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums der Justiz solle für die Zwischenzeit eine Lösung gefunden werden, um zu verhindern, dass der eine Geburtsurkunde vorlegende transgeschlechtliche Elternteil (z.B. bei Schuleintritt oder Grenzübertritt) seine Transgeschlechtlichkeit offenbaren müsse. Damit könne er sich selbst, aber vor allem das Kind der Gefahr von Diskriminierungen oder Anfeindungen aussetzten.

Im Mai 2022 stellte Justizminister Buschmann in einer Regierungsbefragung die Grundzüge der Reform des Abstammungsrecht bei gleichgeschlechtlichen Paaren dar. Er sagte, dass in einem ersten Schritt die „unproblematischen Fälle“ rechtlich geregelt werden sollen. Schwieriger werde es in „Dreiecksverhältnissen“, wenn die Rechte des biologischen Vaters mitberücksichtigt werden müssen. Auf die Frage, ob drei Personen Elternteile sein könnten, sagte Buschmann, dass er diese Lösung nicht ausschließen wolle. „Wenn drei sich einig sind, ist es das Wunderbarste. Oberster Maßstab ist das Kindeswohl.“

Demnach solle in einem ersten Schritt eine gesetzliche Elternschaft für Zwei-Mütter-Familien eingeführt werden. Dieser erste Schritt beträfe zunächst nur Fälle, in denen das Kind im Rahmen einer reproduktionsmedizinischen Behandlung mittels Samenbank-Samenspende gezeugt wurde (sogenannte „offizielle“ Samenspende).

 

V. Zeitrahmen

Marco Buschmann kündigte ursprünglich an, dass die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag angekündigte Reform im Familienrecht wohl bis zur Mitte der Wahlperiode (Herbst 2023) beschließen werde. Tatsächlich liegt bislang lediglich ein Eckpunktepapier des BMJ zur Reform vor.

 

VI. Stellungnahmen zur Reformankündigung

Im Juni 2022 hat der Deutsche Juristinnenbund (djb) in einer Stellungnahme die Reformankündigung des Bundesjustizministers zwar grundsätzlich begrüßt, zugleich aber Kritik an der „Mini-Reform“ geübt, die nur für „offizielle“ Samenspenden gelten solle. Aus Sicht des djb sei eine solche Mini-Reform rechtswidrig. Sie werde der Lebensrealität in Zwei-Mütter-Familien nicht gerecht und diene vor allem nicht dem Kindeswohl. Eine solche Sonderregelung für Zwei-Mütter-Familien verstieße gegen das verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot. Darüber hinaus würde der private Samenspender, der seine rechtliche Vaterschaft jederzeit gemäß § 1592 Nr. 3 BGB feststellen lassen könne (so auch OLG Stuttgart v. 07.04.2022 – 11 UF 39/22, NJW 2022, 2050) privilegiert.

Der djb kritisiert weiterhin, dass die angekündigte Reform einen großen Teil der betroffenen Familien weiterhin unsicher zurückließe, da in der Praxis ein hoher Prozentsatz der Zwei-Mütter-Familien eine private Samenspende in Anspruch nähme (so auch Bundesinteressengemeinschaft Regenbogenfamilien, 2019). Dies läge unter anderem daran, dass eine Kinderwunschbehandlung teuer und der Zugang zu Samenbanken für Zwei-Mütter-Familien in Deutschland nicht einfach sei.

Der djb führt noch einen weiteren Grund an, der Zwei-Mütter-Familien dazu bringt, eine private Samenspende zu wählen. Bei einer offiziellen Samenspende bliebe der Spender anonym. Das Kind habe gem. § 10 Abs. 1 SamenspenderegisterG erst mit 16 Jahren einen Anspruch auf Auskunft über die Daten des Samenspenders. Inwieweit eine Kontaktaufnahme dann noch möglich sei, bliebe fraglich. In der Lebenspraxis hingegen sei häufig eine aktivere Rolle des Samenspenders gewünscht, auch wenn nicht auf dem Niveau eines rechtlichen Vaters.

Im Ergebnis, so der djb, müssten Zwei-Mütter-Familien bei der geplanten Reform die rechtliche Absicherung ihrer Kinder dadurch „erkaufen“, dass eine kostenpflichtige Samenbank gewählt werde.

Zum Eckpunktepapier des BMJ liegen ebenfalls diverse Stellungnahmen vor. Der djb kritisiert in seiner Stellungnahme insbesondere, das Eckpunktepapier messe der biologischen/genetischen Elternschaft ein zu großes Gewicht bei. Sowohl hinsichtlich der Anfechtungsregelungen, als auch hinsichtlich der erstmaligen Zuordnung des Kindes zu rechtlichen Eltern entspreche das nicht dem Kindeswohl, denn Aufgabe des Abstammungsrechts sei es, gelebte Familienverhältnisse rechtlich abzubilden und abzusichern.

 

VII. Meinungsstand und Rechtsprechung

Familienrechtler mahnen schon seit einiger Zeit zu einer umfassenden Reform, da der gesetzgeberische Handlungsbedarf seit vielen Jahren augenscheinlich sei (OLG Stuttgart, NZFam 2022, 787 (790) m. Anm. Flindt; Coester-Waltjen, ZfPW 2021, 129; Lugani, ZRP 2021, 176; Oldenburger, NZFam 2020, 985).

Der Beschluss des OLG Stuttgart (v. 07.04.2022 – 11 UF 39/22, NJW 2022, 2050) zur „Becher(samen)spende“, das keine verfassungsrechtlichen Bedenken hat, unterstreiche die Dringlichkeit einer umfassenden Reform erneut. Eine weitere Ungleichbehandlung von Zwei-Mutter-Familien sei zu vermeiden. Es müssten deshalb Regelungen für die private Samenspende gefunden werden, die für gleichgeschlechtliche und verschiedengeschlechtliche Paare gleichermaßen Anwendung fänden (OLG Stuttgart, NZFam 2022, 787 (790) m. Anm. Flindt).

Bis dahin entscheiden Gerichte nach aktueller Rechtslage. Eine analoge Anwendung des § 1592 Nr. 1 BGB, sog. „Co-Mutterschaft“ (Löhnig, NJW 2019, 122 (123 f.)), bei der heterologen Insemination lesbischer Ehepaare wurde vom BGH höchstrichterlich abgelehnt (BGH, NJW 2019, 153 Rn. 9 ff.: Eine analoge Anwendung scheitere bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, im Übrigen bestünden auch keine verfassungsrechtlichen oder konventionsrechtlichen Bedenken gegen die hierdurch entstehende Ungleichbehandlung von heterosexuellen und homosexuellen Paaren).

Sowohl das KG (Beschl. v. 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 (840 ff.)) als auch das OLG Celle (Beschl. v. 24.03.2021 − 21 UF 146/20, NZFam 2021, 352 (352 ff.)) teilen die Auffassung des BGH allerdings nicht (zustimmend Löhnig, NZFam 2021, 369 (370)) und haben 2021 wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 1592 Nr. 1 BGB das BVerfG zur Entscheidung im Wege der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG angerufen.

Solange sowohl eine Entscheidung des BVerfG, als auch eine Gesetzesänderung ausstehen, ist der Notar verpflichtet, sich an die gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH halten (Schwarz, RNotZ 2022, 421 (436)).

 

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