§ 44 StaRUG-E und in einem Schenkungsvertrag eingeräumte Rückforderungsrechte

1. Einführung

Störfallvorsorge in den durch das Gesetz gesteckten Grenzen ist im Rahmen der Vertragsgestaltung ein legitimes Interesse der Beteiligten. Vertragliche Lösungsrechte bei gegenseitigen Verträgen, Rückforderungsrechte bei unentgeltlichen Zuwendungen (insbesondere von Grundstücken und Gesellschaftsanteilen) und Einziehungsklauseln in Organisationsverträgen wie Gesellschaftssatzungen spielen in der Praxis des vorrausschauenden Kautelarjuristen eine zentrale Rolle. Ihre grundsätzliche Zulässigkeit ist im geltenden deutschen Recht anerkannt.

Probleme entstehen, wo insbesondere Lösungsklauseln mit den legitimen Interessen der Gläubiger des Vertragspartners kollidieren. Solche Klauseln (beispielsweise in Energielieferverträgen oder VOB-Bauverträgen ) müssen sich an § 119 InsO messen lassen, wonach Vereinbarungen unwirksam sind, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO (die Sonderregeln für die Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf gegenseitige Verträge) ausgeschlossen oder beschränkt wird.

 

2. Die Regelung des § 44 StaRUG-E

Eine nachhaltige Unternehmenssanierung beruht immer auf der Fortführung des Unternehmensbetriebs. Dieses Ziel eines modernen Restrukturierungsrechts zur Erhaltung von Fortführungswerten würde konterkariert, könnten die Vertragspartner des Restrukturierungsschuldners sich bereits allein aufgrund der Einleitung von Restrukturierungsmaßnahmen von betriebsnotwendigen (gegenseitigen) Verträgen lösen. Dies hat der europäische Gesetzgeber hat dies im Rahmen der Schaffung der Richtlinie (EU) 2019/1023 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) erkannt und in deren Art. 7 Abs. 5 Folgendes bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es Gläubigern nicht gestattet ist, aufgrund einer Vertragsklausel, die entsprechende Maßnahmen vorsieht, allein aus folgenden Gründen Leistungen aus noch zu erfüllenden Verträgen (Hervorherbung durch Verfasser) zu verweigern oder diese Verträge zu kündigen, vorzeitig fällig zu stellen oder in sonstiger Weise zum Nachteil des Schuldners zu ändern:

a) wegen eines Antrags auf Eröffnung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens,

b) wegen eines Antrags auf Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen,

c) wegen der Eröffnung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens oder d) wegen der Gewährung einer Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen als solcher.“

§ 44 StaRUG-E in der Fassung des Referentenentwurfs für ein Sanierungsfortentwicklungsgesetz setzt diese europäischen Vorgaben um. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 StaRUG-E stellt die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens durch die Schuldnerin ohne weiteres keinen Grund für die Beendigung solcher Vertragsverhältnisse, an denen die Schuldnerin beteiligt ist, die Fälligstellung von Leistungen oder für ein Recht des anderen Teils dar, die diesem obliegende Leistung zu verweigern oder die Anpassung oder anderweitige Gestaltung des Vertrags zu verlangen dar. Entgegenstehende Regelungen sind gemäß § 44 Abs. 2 StaRUG-E unwirksam. Eindeutig geklärt ist damit, dass restrukturierungsbedingte Lösungsklauseln bei gegenseitigen Verträgen in der Weise unzulässig sind, dass Lösungsrechte für den Fall der Einleitung von Maßnahmen nach dem StaRUG vorgenommen werden. Unberührt bleibt die Möglichkeit, auf Krisenmerkmale abzustellen, beispielsweise auf die drohende Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners. Anders als der Europäische Gesetzgeber in der Richtlinienbegründung zu Art. 7 Abs. 5 RL (EU)2019/1023 („Rettung des Unternehmens“) stellt die Begründung zu § 44 StaRUG-E keinen ausdrücklichen direkten Bezug zwischen der Betriebsfortführung und dem Verbot von Lösungsklauseln her.

 

3. Verwandtschaft des § 44 StaRUG-E mit § 119 InsO – Keine Übertragbarkeit des Normzwecks auf Rückforderungsrechte und Einziehungsklauseln

Aufgrund des im Vergleich zur Richtlinie offeneren Formulierung sowohl des Wortlauts des § 44 Abs. 1 StaRUG-E („Vertragsverhältnisse“) als auch der Gesetzesbegründung wird derzeit von der Kautelarpraxis befürchtet, dass die Regelung des § 44 StaRUG-E zu Unsicherheit im Zusammenhang mit anderweitigen Störfallregelungen führen wird.

Dies betrifft namentlich Rückforderungsrechte im Rahmen von Schenkungen von Immobilien und Gesellschaftsanteilen, aber auch für statutarische Einziehungsklauseln. Es dürfte häufig im Sinne der Gestalter derartiger Regelungen sein, diese künftig neben der Insolvenz auch auf Restrukturierungen nach dem StaRUG zu erstrecken. Es ist unstreitig, dass derartige Regelungen mit Anknüpfung an die Insolvenz nach geltendem Recht nicht an § 119 InsO zu messen und auch nicht sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB sind. Auf derartige vertragliche Regelungen lässt sich der Schutzzweck des § 119 InsO nicht übertragen, den Zusammenhalt der Masse (und damit der Unternehmensfortführung) durch Aufrechterhaltung insbesondere des Insolvenzverwalterwahlrechts nach § 103 InsO hinsichtlich nicht vollständig erfüllter gegenseitiger Verträge die Betriebsfortführung zu ermöglichen.

Entsprechendes muss auch für die neue Regelung des § 44 StaRUG-E gelten. Diese Norm ist strukturell und teleologisch mit § 119 InsO verwandt.

Bei unentgeltlichen Zuwendungen handelt es sich nicht um betriebsnotwendige noch nicht vollständig erfüllte gegenseitige Verträge. Durch das mit einer Rückauflassungsvormerkung gesicherte Rückforderungsrecht wird den Gläubigern auch kein Gegenstand in benachteiligender Weise entzogen. Der BGH führte hierzu bereits 2008 aus: „Entscheidend ist hier, dass der Grundbesitz niemals einem unbeschränkten Zugriff der Gläubiger ausgesetzt war. Vielmehr war das Grundstück von dem Erwerb durch den Schuldner an mit dem durch vorrangige Auflassungsvormerkung gesicherten Rückübertragungsanspruch belastet. Die Übertragung des Grundstücks in dieser Form mag für die Gläubiger nur von geringem Vorteil gewesen sein oder gar keinen Vorteil gebracht haben. Eine objektive Benachteiligung zu ihren Lasten war damit aber nicht verbunden.“ Dieses Verständnis bestätigte der BGH ausdrücklich in seiner Entscheidung vom 12.10.2017. Wenn die Schenkung überhaupt hätte unterlassen werden können, dann muss sie erst recht in der Weise erfolgen dürfen, dass im Falle des Eintritts des Beschenken in Maßnahmen nach dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gem. §§ 4 bis 94 StaRUG-E ein (durch Auflassungsvormerkung gesichertes) Rückforderungsrecht besteht. Der unentgeltlich Zuwendende hat ein legitimes Interesse daran, dass sich der Beschenkte beim Umgang mit dem geschenkten Gegenstand nicht im Rahmen von Restrukturierungsverhandlungen von der Gesamtheit seiner Gläubiger leiten lässt. Insoweit gilt nichts anderes als für die Insolvenz.

Ein abweichendes Ergebnis lässt sich auch nicht aus richtlinienkonformer Auslegung herleiten, weil es bei Art. 7 Abs. 5 RL (EU) 2019/1023 nach dem (bereits dargestellten) klaren Willen des EU-Gesetzgebers um betriebsnotwendige Verträge geht, die zur „Rettung des Unternehmens“ erforderlich sind.

 

4. Fazit

Als Konsequenz der vorstehenden Ausführungen ist zu fordern, dass im Rahmen der Überarbeitung des SanInsFoG-E im Sinne des Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie (EU) 2019/1023 entweder

  • ausdrücklich geregelt wird, dass sich § 44 StaRUG nur auf betriebsnotwendige nicht erfüllte (gegenseitige) Verträge bezieht, oder dass
  • gesellschaftsrechtliche Regelungen und Rückforderungsrechte im Zusammenhang mit unentgeltlichen Zuwendungen unberührt bleiben;
  • jedenfalls müssen vormerkungsgesicherte Ansprüche vom Geltungsbereich des § 44 StaRUG-E ausgenommen werden.

 

Quelle:

Autor: Prof. Dr. Heribert Heckschen

Fundstelle: NZI 2020, 976

 

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