BGH IV ZB 26/22
Zur Ermittlung des Geschäftswertes für die Beurkundung von Pflichtteilsverzichtsverträgen gegenüber dem Erstversterbenden

11.09.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
11.10.2023
IV ZB 26/22
NJW 2024, 285

Leitsatz | BGH IV ZB 26/22

Der Geschäftswert für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrages gegenüber dem Erstversterbenden von zwei Erblassern (hier: Kinder im Verhältnis zu ihren Eltern) bemisst sich nach dem Vermögen beider Erblasser (§ 86 Abs. 1 und 2, § 102 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2, § 109 Abs. 1 GNotKG).

Sachverhalt | BGH IV ZB 26/22

Der Kostengläubiger (Notar) beurkundete einen Pflichtteilsverzicht der Kinder der Kostenschuldner gegenüber dem Erstversterbenden ihrer Eltern zugunsten des länger lebenden Elternteils.

In seiner Kostenrechnung erhob der Notar die Gebühren für Beurkundung und Vollzug eines Geschäftes mit einem Geschäftswert in Höhe von 36.250 €. Dieser Wert entsprach betragsmäßig dem Vermögen nur eines Elternteils.

Die Notarkasse vertrat die Auffassung, es sei das Vermögen beider Elternteile zugrunde zu legen.

Das LG schloss sich der Auffassung der Notarkasse an und änderte im Rahmen der vom Notar verlangten gerichtlichen Entscheidung über die Kostenberechnung die Kostenrechnung dahingehend, dass sich der Rechnungsbetrag aus einem Geschäftswert von 72.500€ ergebe.

Das OLG als Beschwerdegericht hob diese Entscheidung auf die Beschwerde des Notars hin auf und bestätigte die ursprüngliche Kostenrechnung des Notars.

Dagegen richtete sich nun die auf Anweisung der Präsidentin des LG erhobene Rechtsbeschwerde.

Entscheidung | BGH IV ZB 26/22

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Die Auffassung des Berufungsgerichtes, dass zwar materiell zwei bedingte Verzichte vorlägen, jedoch nur einer der beiden Verzichte wirksam werden könne und daher auch nur das Reinvermögen eines Elternteils zu berücksichtigen sei, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Der Geschäftswert für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrags entspricht nach § 102 Abs. 4 S. 1 Hs. 1, Abs. 1 GNotKG dem Pflichtteilsbruchteil am (modifizierten) Reinvermögen des Erblassers. Wie der Geschäftswert bei einem Pflichtteilsverzicht gegenüber dem Erstversterbenden von zwei Erblassern zu bemessen ist, ist umstritten. Dies zeigt sich auch in den unterschiedlich ausfallenden Entscheidungen in den beiden Vorinstanzen.

So wird einerseits vertreten, dass es sich im vorliegenden Fall um zwei selbstständige Pflichtteilsverzichtsverträge handele, die zwar jeweils auflösend bedingt, aber kostenrechtlich wie unbedingt abgeschlossene Verträge zu bewerten seien (so LG). Nach dieser Auffassung ist das Reinvermögen beider Elternteile zugrunde zu legen.

Nach anderer Ansicht ist nur das Vermögen eines Elternteils zu berücksichtigen, da von vorne herein feststehe, dass nur einer der beiden Verzichte wirksam werden könne (so OLG).

Laut BGH ist die erstgenannte Auffassung zutreffend. Der Geschäftswert ergibt sich aus dem addierten Wert beider Pflichtteilsverzichtsverträge: „Nach § 86 Abs. 1 GNotKG ist der Beurkundungsgegenstand das Rechtsverhältnis, auf das sich die Erklärungen beziehen. Mehrere Rechtsverhältnisse sind gem. § 86 Abs. 2 GNotKG verschiedene Beurkundungsgegenstände, deren Werte – vorbehaltlich der Ausnahmeregelung in § 109 GNotKG – nach § 35 Abs. 1 Hs. 1 GNotKG zusammenzurechnen sind. Nach dem Grundsatz des § 86 GNotKG ist daher jedes Rechtsverhältnis als eigenständiger Gegenstand zu behandeln und zu bewerten.“

Bei den streitgegenständlichen Pflichtteilsverzichtsverträgen handelt es sich um unterschiedliche Beurkundungsgegenstände, da sie sich auf mehrere Rechtsverhältnisse (jeweils zwischen den Kindern zum einen und zum anderen Elternteil) beziehen.

Der Pflichtteilsverzicht ist dabei - anders als nach der Auffassung des Beschwerdegerichts - ein das Pflichtteilsrecht gestaltendes Rechtsgeschäft unter Lebenden und daher streng zu trennen vom Pflichtteilsanspruch, der erst mit dem Erbfall entsteht, § 2317 Abs. 1 BGB.

Deswegen entfalten die Pflichtteilsverzichtsverträge mit beiden Elternteilen bereits ab Beurkundung rechtliche Wirkungen (in Bezug auf das Pflichtteilsrecht) für mehrere Rechtsverhältnisse, die sich nicht darin erschöpfen, dass zukünftig nur ein Pflichtteilsanspruch nicht entstehen wird.

Die Fälle, dass mehrere Rechtsverhältnisse in einer Urkunde ausnahmsweise als ein Beurkundungsgegenstand zu behandeln sind, sind in § 109 GNotKG geregelt und betreffen solche Fälle, in denen weitere Rechtsverhältnisse in Abhängigkeit zu einem (Haupt-)Rechtsverhältnis stehen. Dies ist hier nicht der Fall.

Im Ergebnis bestehen zwei eigenständige Pflichtteilsverzichtsverträge, die zwei verschiedene Rechtsverhältnisse betreffen, weswegen bei der Rechnungslegung des Notars das Vermögen beider Elternteile zu berücksichtigen ist.

Praxishinweis | BGH IV ZB 26/22

Es kommt bei der Beurteilung, ob bei Pflichtteilsverzichten mehrere Rechtsverhältnisse bestehen, nicht darauf an, dass schlussendlich nur ein Pflichtteilsanspruch nicht entsteht. Bereits die rechtlichen Wirkungen hinsichtlich des Pflichtteilsrechtes begründen das Vorliegen mehrerer Rechtsverhältnisse.