OLG Hamm 10 W 12/22
Keine Zustimmung aller Miterben erforderlich für die Erteilung eines quotenlosen Erbscheins

21.08.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
27.07.2022
10 W 12/22
MittBayNot 2023, 384

Leitsatz | OLG Hamm 10 W 12/22

  1. Nach dem Wortlaut des § 352a Abs. 2 Satz 2 FamFG müssen für die Erteilung eines quotenlosen Erbscheins „alle Antragsteller“ auf die Aufnahme der Erbteile in den Erbschein verzichten. Die Zustimmung auch derjenigen Miterben, die selbst keinen Erbschein beantragt haben, ist nicht erforderlich.
  2. Es gibt im Gesetz keinen Anhaltspunkt dafür, dass ein quotenloser Erbschein nur von allen Miterben beantragt werden kann.

Sachverhalt | OLG Hamm 10 W 12/22

Die Geschwister und einzigen Kinder (G, H und I) der Eheleute F und B C, sind durch ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament als Schlusserben nach dem Tod des Letztversterbenden eingesetzt worden. Hierbei wurden bestimmte Vermögensbestandteile den einzelnen Kindern zugeordnet.

Nach dem Tod des Vaters und der Mutter hat der Beteiligte zu 3 einen Erbscheinsantrag gestellt, um ihn und die Beteiligten zu 1 und 2 als Erben auszuweisen. Er hat auf die Aufnahme seiner Erbanteile in den Erbschein verzichtet (§352a Abs. 2 S. 2 FamFG) und argumentiert, dass die Zustimmung aller Miterben zur Erteilung eines quotenlosen Erbscheins nicht erforderlich sei. Das Gesetz verlange nur, dass die Antragsteller auf die Aufnahme der entsprechenden Erbquote in den Erbschein verzichten und Antragsteller sei vorliegend nur er selbst. Der Beteiligte zu 2 trat dem Erbscheinsantrag entgegen und fordert einen gemeinschaftlichen Erbschein mit einem Erbanteil von ⅓ für jeden Erben. Er vertrat die Auffassung, dass ein quotenloser Erbschein nur dann erteilt werden kann, wenn alle in Betracht kommenden Miterben auf die Aufnahme der Erbanteile in den Erbschein verzichten. Die Beteiligte zu 1 hat keine Einwendungen und verzichtet ihrerseits auf die Aufnahme ihrer Erbanteile.

Das Nachlassgericht hat den Antrag des Beteiligten zu 3 auf einen quotenlosen Erbschein zurückgewiesen, da alle Miterben dem Verzicht auf die Angabe der Erbanteile zustimmen müssten. Dies ergebe sich aus der systematischen Stellung des § 352a Abs. 2 FamFG und dem grammatikalischen Bezug. Der Beteiligte zu 3 legt nun Beschwerde ein und fordert weiterhin einen quotenlosen Erbschein oder hilfsweise einen Erbschein, der die Erbquoten für jeden Erben festlegt. Er argumentiert, dass die Zustimmung aller Miterben sich weder aus dem Wortlaut des Gesetzes noch aus dem Gesetzgebungsverfahren ergebe.

Entscheidung | OLG Hamm 10 W 12/22

Die Beschwerde ist statthaft, zulässig und begründet.

Der Beteiligte zu 3 kann ohne Zustimmung des Beteiligten zu 2 einen quotenlosen Erbschein beantragen. Da die Beteiligten zu 1 bis 3 in dem gemeinschaftlichen Testament als Schlusserben eingesetzt wurden, sind sie Miterben der zuletzt verstorbenen Erblasserin. Der Umstand, dass die Eheleute die Kinder nicht zu bestimmten Quoten als Erben eingesetzt haben, sondern ihnen näher bestimmte Vermögensbestandteile zugeschrieben haben, ändert nichts an der Erbeinsetzung.

Entsprechend der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB ist zwar davon auszugehen, dass der Erblasser keine Erbeinsetzung, sondern die Anordnung von Vermächtnissen beabsichtigt, wenn er den Bedachten nur einzelne Vermögensbestandteile zuwendet. Dies trifft jedoch nicht auf den Fall zu, in dem der Erblasser den Bedachten praktisch sein gesamtes Vermögen zuwendet. Die Auslegungsregel würde in solchen Situationen zu dem Ergebnis führen, dass das Testament keine Erbeinsetzung enthält und somit dem mutmaßlichem Willen des Erblassers widersprechen.

Ein Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins muss gem. § 352a Abs. 2 S. 1 FamFG in der Regel die Erben und ihre Erbteile enthalten. Entsprechend Satz 2 ist dies jedoch entbehrlich, wenn alle Antragsteller auf die Aufnahme der Erbteile in den Erbschein verzichten. Da der Beteiligte zu 3 als alleiniger Antragsteller vorliegend auf eine Aufnahme verzichtet hat, ist eine Angabe der Erbteile der Miterben in dem Erbschein nicht notwendig. Dem steht auch der Widerspruch des nichtantragstellenden Beteiligten zu 2 nicht entgegen, da der Wortlaut des § 352a Abs. 2 S. 2 FamFG ausdrücklich nur den Verzicht aller Antragsteller voraussetzt.

Die Formulierung „alle Antragsteller“ kann auch nicht mit „alle Miterben“ gleichgesetzt werden. In § 352a FamFG wird sowohl der Begriff (Mit-)Erben als auch der Begriff Antragsteller verwendet, sodass eine Differenzierung der Begriffe durch den Gesetzgeber erkennbar ist. Da § 352a Abs. 2 S. 1 FamFG die Angabe der Erben im Erbscheinsantrag fordert, kann davon ausgegangen werden, dass Satz 2 einen entsprechenden Wortlaut enthalten würde, wenn dies im Sinne des Gesetzgebers gewesen wäre. Dies wird vor allem auch durch deutlich, dass gem. § 352a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 FamFG  jeder Erbe einzeln einen Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins stellen kann.

Des Weiteren sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die es rechtfertigen würden, die Formulierung „alle Antragsteller“ mit „alle Miterben“ gleichzusetzen. Der verwendete Plural „Antragsteller“ bringt nur zum Ausdruck, dass beim Vorliegen von mehreren Antragstellern, jeder von ihnen auf die Aufnahme der Erbanteile verzichten muss. Aufgrund des klaren Wortlauts von § 352a Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 S. 1 FamFG lässt sich auch nicht ableiten, dass sämtliche Miterben dazu verpflichtet sind, den Erbschein zu beantragen.

Schließlich kann auch der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung nicht entnommen werden, dass ein quotenloser Erbschein entweder nur durch alle Miterben gemeinsam beantragt werden kann oder zumindest der Zustimmung aller Miterben bedarf. Einerseits wird zwischen den Begriffen der Miterben und Antragsteller klar unterschieden, ohne diese als synonyme Begriffe zu behandeln. Andererseits soll durch die Gesetzesänderung das Erbscheinverfahren beschleunigt werden, indem die Miterben unzweifelhaft festgestellt werden, ohne dass gleichzeitig deren Erbquote angegeben wird. Wenn entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut nicht nur die Zustimmung jedes Antragstellers, sondern auch die aller Miterben erforderlich wäre, könnte der Zweck des Gesetzes nicht erfüllt werden.

Praxishinweis | OLG Hamm 10 W 12/22

Die Entscheidung des OLG Hamm ist zu begrüßen. Aus dem Wortlaut wie auch aus der Gesetzesbegründung lässt sich schließen, dass die Zustimmung aller Miterben zu einem Antrag gem. § 352a FamGF nicht erforderlich ist. Da jeder Miterbe, der mit dem Antrag nicht einverstanden ist, entweder materiell-rechtliche Einwendungen geltend machen kann oder selbst einen abweichenden Antrag mit Angabe der Erbquoten stellen kann, ist ein Schutz der Miterben durch ein Zustimmungserfordernis außerdem nicht notwendig.