OLG Hamm 11 U 148/22
Haftung des Notars wegen Beurkundung eines unwirksamen Pflichtteilsverzichtsvertrages

11.10.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
12.07.2023
11 U 148/22
ZEV 2023, 684

Leitsatz | OLG Hamm 11 U 148/22

  1. Ein Erbverzichtsvertrag, bei dem der Erblasser vollmachtlos vertreten worden ist, ist gem. § 2347 S. 1 BGB unwirksam. Das Gleiche gilt für entsprechende Verzichtserklärungen nach der Höfeordnung.
  2. Der Formmangel wird nicht durch beglaubigte Genehmigungserklärung des Erblassers geheilt, da dieser die Beurkundungsform fehlt. Auch eine beurkundete Genehmigung ist nicht ausreichend, da die Annahme des Verzichtsangebots durch den Erblasser nur sofort erfolgen kann.
  3. Die kenntnisunabhängige, zehnjährige Verjährungsfrist gem. § 199 Abs. 3 BGB bezüglich eines Schadensersatzanspruchs gem. § 19 BNotO beginnt bei Unwirksamkeit eines notariell beurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrages frühestens mit dem Ableben des Erblassers als Eintritt des Schadens.

Sachverhalt | OLG Hamm 11 U 148/22

Erblasser E war bis zu seinem Tod Eigentümer eines Hofes im Sinne der Höfeordnung und von hoffreiem Grundbesitz. Im Jahr 2005 setzte er seine Tochter T1, die Kl., zur Hof- und Alleinerbin ein. Im Jahr 2006 beurkundete der später beklagte Notar eine als Pflichtteilsverzichtsvertrag bezeichnete Vereinbarung zwischen dem Erblasser und dessen Töchtern T1 und T2. Unter Zahlung einer Abfindung in Höhe von 30.000 € durch T1 verzichtete T2 gegenüber dem Erblasser auf ihr Pflichtteilsrecht am hoffreien Nachlass sowie (zumindest teilweise) auf etwaige höferechtliche Abfindungs- und Ergänzungsabfindungsansprüche gem. den §§ 12, 13 HöfeO.

E erschien zur Beurkundung nicht persönlich, sondern wurde durch eine Mitarbeiterin des beklagten Notars ohne Vollmacht vertreten. Am 09.02.2006 genehmigte E die abgegebenen Erklärungen. Die unter dieser Erklärung abgegebene Unterschrift wurde am selben Tag durch den Bekl. notariell beglaubigt. Der vereinbarte Betrag von 30.000 EUR wurde im Verlauf des Jahres 2006 an die pflichtteilsverzichtende T2 gezahlt.

Nach dem Tod des Erblassers im Jahr 2020 trat T2 an T1 (Erbin und Kl.) heran und forderte sie mittels anwaltlichen Schreibens vom 27.04.2021 auf, ein Nachlassverzeichnis zu erstellen – unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichtsvertrags. Unter Verweis darauf, dass ihre Schwester nunmehr Pflichtteilsansprüche geltend mache, forderte die Kl. den Bekl. daraufhin in einem anwaltlichen Schreiben vom 27.05.2021 auf, sie von sämtlichen Pflichtteilsansprüchen ihrer Schwester freizustellen. Der Bekl. lehnte dies ab und erhob insbesondere die Einrede der Verjährung gegen die geltend gemachten Ansprüche.

Das LG wies die Feststellungsklage mit Urteil vom 16.09.2022 ab, da ein etwaiger Anspruch auf Schadensersatz jedenfalls seit dem 10.02.2016 verjährt sei. Die Kl. legt gegen diese Entscheidung Berufung ein.

Entscheidung | OLG Hamm 11 U 148/22

Die zulässige Feststellungsklage ist begründet. Der Kl. stehe gegen den Bekl. ein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch aus § 19 Abs. 1 BNotO zu, weil die von ihm errichtete Urkunde sowohl hinsichtlich des Pflichtteilsverzichts als auch wegen der Vereinbarung in Bezug auf die Ansprüche aus der HöfeO unwirksam ist und der Kl. dadurch wahrscheinlich ein Schaden entstanden ist, den sie nicht von Dritten ersetzt verlangen kann.

Nach Auffassung des OLG Hamm habe der beklagte Notar gegenüber der Kl. die sich aus § 17 Abs. 1 BeurkG ergebende Amtspflicht verletzt. Gemäß § 17 Abs. 1 BeurkG sei der Notar verpflichtet, den Willen der Beteiligten zu erforschen, den Sachverhalt zu klären, die Beteiligten über die rechtlichen Konsequenzen des Geschäfts zu belehren und ihre Erklärungen klar und eindeutig in der Niederschrift festzuhalten. Diese Vorschrift ziele insbesondere darauf ab, sicherzustellen, dass der Notar eine rechtswirksame Urkunde erstellt, die den tatsächlichen Willen der Beteiligten widerspiegelt. Der Notar habe diese ihm obliegende Amtspflicht zur Errichtung einer formwirksamen Urkunde einerseits dadurch verletzt, dass er bei der Beurkundung die Formvorschrift des § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. (ab dem 01.01.2023: § 2347 S. 1 BGB n.F.) missachtet habe, wonach der Erb- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrag von Seiten des Erblassers grundsätzlich ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft darstellt, und eine Beurkundung unter Beteiligung eines vollmachtlosen Vertreters vornahm. Andererseits habe der Bekl. seine sich aus § 17 BeurkG folgende Amtspflicht auch deswegen verletzt, weil die Verzichtsvereinbarung hinsichtlich der Ansprüche aus der Höfeordnung aufgrund der Missachtung des § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. ebenfalls unwirksam seien.

Die Nichtigkeit des erbrechtlichen Verfügungsgeschäfts sei auch nicht aufgrund der Genehmigung des Erblassers vom 09.02.2006 hinsichtlich der von der vollmachtlosen Vertreterin abgegebenen Erklärungen entfallen. Denn die Erklärung des Erblassers erfülle jedenfalls nicht die Formanforderungen gem. § 2348 BGB, die bei Abschluss eines Erbvertrages gem. § 2346 BGB einzuhalten seien. Es handle sich lediglich um eine Unterschriftsbeglaubigung gem. § 39 BeurkG, die auch nicht in eine Niederschrift umgedeutet werden könne.

Der Schadensersatzanspruch sei nach Ansicht des OLG Hamm zudem auch durchsetzbar, da die Einrede der Verjährung nicht durchgreife. Der Anspruch aus § 19 BNotO verjähre nach Maßgabe der §§ 194 ff. BGB, was aus dem Verweis in § 19 Abs. 1 S. 3 BNotO auf die Regelungen des BGB folge. Die kenntnisabhängige, dreijährige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 BGB sei vorliegend nicht vollendet, weil eine Kenntnis der Kl. von der haftungsbegründenden Pflichtverletzung des Notars erst mit dem anwaltlichen Schreiben der T2 vom 27.04.2021 eingetreten sei. Auch die kenntnisunabhängige, zehnjährige Verjährungsfrist ab Entstehung gem. § 199 Abs. 3 BGB sei – entgegen der Ansicht des LG – noch nicht abgelaufen, da ein Schaden frühestens mit dem Ableben des Erblassers entstanden sei. Der Erblasser sei bis zu seinem Ableben nicht in seiner Testierfreiheit beschränkt gewesen und hätte eine andere Person, etwa die Schwester der Klägerin als Hof- und/oder Alleinerbin einsetzen können. In diesem Falle hätte die Nichtigkeit der von dem Beklagten beurkundeten Verzichtsvereinbarung das Vermögen der Klägerin nicht nachteilig beeinflusst. Demnach sei bis zum Ableben des Erblassers unklar gewesen, ob das pflichtwidrige, risikobegründende Verhalten zukünftig zu einem Schaden für die Kl. führen würde.

Praxishinweis | OLG Hamm 11 U 148/22

Die Entscheidung des OLG Hamm unterstreicht die grundsätzliche Bedeutung der Einhaltung formaler Vorschriften (bei der Beurkundung von Pflichtteilsverzichtverträgen) und hebt die Verantwortung des Notars hervor, eine rechtswirksame Beurkundung zu gewährleisten. Eine Nichtbeachtung (des Vertretungsverbots gem. § 2347 S. 1 BGB) kann eine Amtshaftung des Notar begründen und weitreichende finanzielle Folgen haben.

Für die notarielle Praxis ist bei der Beurkundung von separaten Pflichtteilsverzichtsverträgen wie auch von kombinierten Verträgen mit eingeschlossenem Pflichtteilsverzicht von einer Vertretung des Erblassers zwingend abzusehen, da ansonsten der Verzichtsvertrag unwirksam ist. Die Umdeutung eines deshalb nichtigen notariell beurkundeten Verzichtsvertrags in ein Angebot des Verzichtenden scheitert in der Regel daran, dass die Annahme des Erblassers nicht notariell beurkundet wurde. Eine gesetzliche Ausnahme vom Vertretungsverbot wird nur gemacht, wenn der Erblasser geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 2 BGB) ist. In diesem Fall ist gem. § 2347 S. 2 BGB nF eine Vertretung durch den gesetzlichen Vertreter (Betreuer) angezeigt.

Zu beachten ist, dass § 2347 S. 1 Hs. 1 BGB zwar für sämtliche Erb-, Pflichtteils- und Zuwendungsverzichtsverträge gilt, jedoch nicht für das zugrundeliegende schuldrechtliche Kausalgeschäft – mangels gesetzlicher Regelungslücke auch nicht analog (vgl. BGH NJW 1962, 1910). Nach Ansicht des BGH (a. a. O.) kann eine derartige Verpflichtung zum Abschluss eines Erbverzichtsvertrags nach den §§ 2346 ff. aber nur zu Lebzeiten des Erblassers erfüllt werden, da mit dessen Tod dem Verzichtenden die Leistung nachträglich gem. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich wird.