LAG Düsseldorf 3 Ta 132/22
Arbeitnehmereigenschaft von Fremdgeschäftsführer

05.06.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LAG Düsseldorf
05.10.2022
3 Ta 132/22
NZA-RR 2023, 42

Leitsatz | LAG Düsseldorf 3 Ta 132/22

  1. Die Regelung in einem Geschäftsführerdienstvertrag zu einer unechten Gesamtvertretung dahingehend, dass der alleinige Geschäftsführer einer GmbH lediglich gesamtvertretungsberechtigt zusammen mit einem Prokuristen ist, stellt gesellschaftsrechtlich eine unzulässige Beschränkung der organschaftlichen Vertretungsmacht dar.
  2. Wenngleich damit zugleich eine atypische Regelung eines Geschäftsführeranstellungsvertrages vorliegt, macht dies den Fremdgeschäftsführer nicht per se zum Arbeitnehmer. Es handelt sich lediglich um einen Aspekt der vorzunehmenden Gesamtwürdigung bei der Abgrenzung von dienstvertraglicher Anstellung und Arbeitsverhältnis. Dabei bleiben die Anforderungen unverändert hoch: Nur bei Feststellung auch im Übrigen atypischer Regelungen und/oder einer Vertragspraxis dahingehend, dass eine arbeitnehmertypische Weisungsbindung und damit als extremer Ausnahmefall eine Geschäftsführeranstellung im Arbeitnehmerstatus vorliegt, ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet. (amtl. Leitsätze)

Sachverhalt | LAG Düsseldorf 3 Ta 132/22

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Vertragsverhältnisses durch die außerordentliche, fristlose Kündigung mit Schreiben der Beklagten vom 23.11.2020 und dessen Fortbestand bis 30.4.2021 sowie über einen Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers als Geschäftsführer und in diesem Zusammenhang vorab über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten.

Der Kläger war bei der Beklagten auf der Grundlage des schriftlichen „Geschäftsführerdienstvertrags“ vom Oktober 2019 mit Wirkung ab November 2019 als Geschäftsführer beschäftigt. Wörtlich enthielt der „Geschäftsführerdienstvertrag“ ua folgende Regelung: „Der Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Der Geschäftsführer ist gesamtvertretungsberechtigt gemeinsam mit einem Prokuristen. Von den Beschränkungen des § 181 BGB ist der Geschäftsführer nicht befreit…“

Laut Handelsregisterauszug war der Kläger seit 29.01.2020 als alleiniger Geschäftsführer der Beklagten eingetragen und neben ihm Herr X und Herr T als Einzelprokuristen. Weiter ist dort eingetragen die folgende allgemeine Vertretungsregelung: „Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt er die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten.“

Der Kläger selbst hat das Vertragsverhältnis zum 30.04.2021 fristgerecht gekündigt. Die Beklagte wiederum kündigte ihm am 23.11.2020 außerordentlich fristlos sowie hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt und teilte ihm die sofortige Abberufung als Geschäftsführer mit. Diese wiederum wurde am 30.12.2020 im Handelsregister eingetragen. Mit seiner am 14.12.2020 beim ArbG Düsseldorf eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die außerordentliche Kündigung und macht den Fortbestand seines Vertragsverhältnisses, das er für ein Arbeitsverhältnis hält, bis 30.04.2021 sowie einen entsprechenden Beschäftigungsanspruch geltend. Das ArbG sei zuständig, weil die vertragliche Verpflichtung, kein Rechtsgeschäft ohne Zustimmung eines Prokuristen abzuschließen für einen Geschäftsführerdienstvertrag atypisch sei und zudem gegen das Gebot der Selbstorganschaft verstoße. In der Vertragspraxis sei der Kläger weisungsgebunden tätig geworden. Faktische Geschäftsführer seien Herr M und Herr E gewesen, die Geschäftsführer der Hauptgesellschafterin. Der Kläger habe keine Weisungen erteilen dürfen, sondern sei selbst Weisungsempfänger gewesen.

Die Beklagte hat Rechtswegrüge erhoben, da der Kläger als Geschäftsführer und damit nicht als Arbeitnehmer tätig geworden sei.

Entscheidung | LAG Düsseldorf 3 Ta 132/22

Das LAG wies die Beschwerde ab. Das ArbG Düsseldorf habe seine Zuständigkeit zu Recht verneint, so dass es mangels einschlägiger spezialgesetzlicher Zuweisung wegen der hier zweifellos bestehenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit bei der Verweisung an das zuständige LG Düsseldorf bleibe.

Das LAG führt aus, dass die Fiktionswirkung aus § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte im vorliegenden Fall nicht hindere. Der Geschäftsführer gelte während des Zeitraums seiner Bestellung als Vertretungsorgan der Gesellschaft nicht als Arbeitnehmer i.S.d. ArbGG, so dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten selbst dann nicht eröffnet sein könne, wenn materiell-rechtlich seiner Bestellung ein Arbeitsverhältnis statt eines freien Dienstverhältnisses zugrunde liegen sollte. Diese Fiktionswirkung sei mit der dem Kläger zusammen mit der Kündigung vom 23.11.2020 bekannt gemachten Abberufung als Geschäftsführer beendet. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG sperre damit den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten bereits bei Klageerhebung nicht mehr.

Nach Abberufung sei festzustellen, ob der Tätigkeit des Klägers materiell-rechtlich ein Arbeitsverhältnis oder ein freies Dienstverhältnis zugrunde gelegen habe. Dabei trage der Kläger die Darlegungslast für die die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründenden Umstände, hier also für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Das LAG stellt fest, dass das Vorbringen des Klägers nicht zur schlüssigen Begründung der Voraussetzungen der §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und b, 5 Abs. 1 S. 1 ArbGG und damit zur Begründung der Fachzuständigkeit der Arbeitsgerichte ausreiche und es damit bei dem Ergebnis der Entscheidung des ArbG Düsseldorf verbleibe.

Auch wenn die Regelung in einem Geschäftsführerdienstvertrag zu einer unechten Gesamtvertretung dahingehend, dass der alleinige Geschäftsführer einer GmbH lediglich gesamtvertretungsberechtigt zusammen mit einem Prokuristen sei, gesellschaftsrechtlich eine unzulässige Beschränkung der organschaftlichen Vertretungsmacht darstelle, mache das den betroffenen Geschäftsführer nicht per se zum Arbeitnehmer.
Die Regelung bilde nur einen Teilaspekt der Gesamtwürdigung, ersetzte diese jedoch nicht. Auch bei tatsächlicher Anwendung der unwirksamen Vertragsregelung in der Vertragspraxis bedeute die gemeinschaftliche Vertretung mit einem Prokuristen nicht, dass der Kläger damit diesem gegenüber weisungsgebunden gewesen wäre. Es hieße lediglich, dass seine Vertretungsmacht – unzulässig – vertraglich beschränkt gewesen sei. Entscheidend für die Abgrenzung von Dienst- und Arbeitsverhältnis sei dann immer noch, ob der Kläger tatsächlich und in welchem Umfang Weisungen zu seiner Tätigkeit unterlag. Der Kläger behaupte gar nicht, dass er Weisungen von den Prokuristen erhalten habe. Er habe vielmehr vorgetragen, Weisungen der Geschäftsführer der Hauptgesellschafterin unterworfen gewesen zu sein. Diese hätten aber als Gesellschaftervertreter auch das gesellschaftliche Weisungsrecht ausüben können, wodurch der Geschäftsführer nicht zum Arbeitnehmer werde. Auch alle weiteren vorgetragenen Punkte genügten nicht zur Darlegung eines extremen Ausnahmefalls.

Praxishinweis | LAG Düsseldorf 3 Ta 132/22

Die Entscheidung des LAG Düsseldorf, die einen „Dauerbrenner“ der arbeitsrechtlichen Praxis behandelt, ist richtig. Der Kläger ist darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass in seinem Fall ein extremer Ausnahmefall vorliegt. Die – unwirksame – vertragliche Regelung der sog. unechten Gesamtvertretung kann für sich genommen und auch nicht im Zusammenspiel mit den weiteren Besonderheiten des Vertrages (Festlegung des Dienstortes, Urlaubregelungen) zu einer Begründung der arbeitnehmerentsprechenden Weisungsabhängigkeit führen.

Der Praktiker sollte sehr genau überlegen, ob er sich auf eine Streitigkeit über die Rechtswegzuständigkeit einlässt. Zwar sind die Arbeitsgerichte vergleichsweise schnell in der Terminierung der Güteverhandlung – und daher erst einmal attraktiv. Ist aber der extreme Ausnahmefall nicht darzulegen, kostet die Verweisung der Sache Zeit und Geld.